Eine humanitäre Operation, die Putin schachmatt setzen würde
Mein Artikel wurde auch in der Times of Malta (ToM) sowie in der SWZ - (Südtiroler Wirtschaftszeitung) veröffentlicht. Der Link zum Artikel in der "ToM" bzw. "SWZ", die PDF/Printausgabe ist jeweils hier und hier zu finden.
Das ist kein Krieg, sondern das grenzt an Völkermord. Aber es gibt eine Möglichkeit, die ihn beenden könnte.
Jeder fragt sich, wohin Wladimir Putins illegaler kriegerischer Überfall in der Ukraine führen soll. Wo Freiheit herrscht, wird dieser zwar Krieg genannt, aber es ist ein ungewöhnlicher Krieg: Es bestand keine Auseinandersetzung, kein bedrohlicher Konflikt zwischen zwei Staaten. Nein, dies ist ein völkerrechtswidriger Überfall Russlands, ein Übergriff seines Staatsführers, Putin, auf ein Nachbarland.
Und zwar wegen dessen anderen Systems, eines anderen Weltverständnisses, wegen eines anderen Menschenbildes, seiner Art und Weise der Alltagsbewältigung und einer anderen Zukunftsvorstellung für das ukrainische Volk. Ein Volk, das sich vorsichtig, aber doch entschlossen zukunftsgerichteten Ideen öffnete, nämlich der Modernisierung, dem freien Zugang zur Bildung, zur Weiterentwicklung und dem freien Zugang zu jenen Bündnissen, die sich das Land vorstellt. Und dies friedlich, ohne Atomwaffen, ohne Hochrüstung. Auch weil dies ein demokratisches Dasein in Freiheit ermöglicht, was für andere frühere Ostblock-Länder bereits Realität ist.
Putins rückwärtsgewandtes Imperium
Putins Grundidee ist, dass die Ordnungen der Welt dorthin zurückkehren, wo sie vor 100, 200, 300, 400 Jahren waren. Zeiten, in denen imperialistische Systeme und Autokraten ihre Ideen ohne Wenn und Aber umsetzten. Dies gelang, weil sie schlicht die Stärkeren waren.
Ein rückwärtsgewandtes Imperium ist Putins langgehegter Wunsch. Er träumt von Russland als bestimmende Weltmacht – ganz egal, wie sich die Zeiten, die Menschen und die geopolitische Lage nach dem Zarenreich weiterentwickelt haben.
Die Ukraine ist ein Land, das schon in vielerlei Kriege und Konflikte verstrickt war. Dieses Land gehörte einmal hierhin und einmal dorthin und zwischendurch kurz auch sich selbst. Sie ist ein immerwährender Konfliktschauplatz gewesen. Die Zeiten des Friedens in der Ukraine waren stets kurz und immer davon geprägt, dass ein Stärkerer kam und dieses Land mit seinen Kornkammern für sich reklamierte. Putin stach die Ukraine aber deswegen als ein „Gegner“ ins Auge, weil sie sich in eine westliche Zukunft bewegte.
Dies ist kein klassischer Krieg, sondern das grenzt an Völkermord
Die Ukraine ist aber keine Bedrohung für Russland. Auch der Westen ist keine echte Bedrohung für Russland. Worin sollte denn diese Bedrohung bestehen? Die einzige, konstruierte Bedrohung, ist, dass das Systemverständnis ein fundamental anderes zu Putins Russland ist. Nämlich eines von wirtschaftlichem Zusammenhalt, von Kooperation, einer demokratischen Grundgesinnung für die Freiheit der Menschen. Eines von Gewaltenteilung und einer durch Wahlen begrenzten Zeit jener, die an der Macht sind, ein für jedermann gleich gültiges Recht und Gesetz sowie einer echten Opposition.
Die Ukraine ist nicht das Opfer eines Krieges, die Ukraine ist das Opfer eines brutalen Überfalls. Dieser Angriff hält sich an keine Regeln, keine internationalen Gesetze, kein Kriegsrecht, keine Menschenrechtskonvention, an nichts Schutzwürdiges. Dieser Überfall läuft so brutal und willkürlich ab, wie früher Banditen eine Postkutsche überfallen haben. Für Putin ist es gleichgültig, ob dabei Soldaten oder Zivilisten sterben, ob es Männer, Frauen oder Kinder trifft. Es sterben einfach alle. Russland macht, was ihm gerade in den Sinn kommt, und dreht immer an den Hebeln, die den größtmöglichen Schaden für die Ukraine versprechen und dabei das Volk möglichst vernichten. So geht es nur darum, mit noch mehr Raketen, Bomben, Granaten, Panzern, Mienen, Kugeln und Soldaten noch mehr zu zerstören, noch mehr zu töten. Und wer nicht getroffen wird, kommt eines Tages von selbst um, weil er erfriert, verhungert, verdurstet oder er aus Mangel an medizinischer Versorgung stirbt. Das grenzt an einen echten Völkermord.
Es bleibt eine Illusion darauf zu hoffen, dass Putins Kriegsmaschinerie sich an internationale, zivilisierte Spielregeln und Gesetze hält, einlenkt und abzieht. So agieren Putin und seine Schergen, sein Russland nicht. So ist sein Denken nicht.
Dabei gäbe es immer, ausdrücklich immer, alternative Möglichkeiten zum Krieg. Es hat in der Geschichte noch nie einen Krieg gegeben, der schlussendlich zu etwas Gutem geführt hätte.
Ein humanitärer Großeinsatz würde Putin schachmatt setzen
Deshalb wäre es sinnvoll, darüber nachzudenken, ob unsere Hilfe für die Ukraine an materieller Kriegsunterstützung ausreicht, genauer gesagt zielführend ist. Genügt es, lediglich Waffen, Munition und Geld bereitzustellen? Möglicherweise ist es an der Zeit, um einen humanitären Großeinsatz sondergleichen zu organisieren.
Wer auch immer über humanitäre Kräfte verfügt, kann jetzt zu einem humanitären Schutzschirm beitragen. Jede Nation könnte 100, 200, 5.000 oder gar 10.000 Helfer in die Ukraine entsenden – Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte, Techniker, Lehrer, Psychologen, Logistiker. Die Ukraine könnte zu einem Weltschauplatz für humanitäre Hilfe werden.
Würden Tausende oder gar Hunderttausende Helfer aus dem Ausland überall Zelt- und Containerstädte sowie Hilfszentren errichten, dann würde dies Putin schachmatt setzen. Denn mit einer einzigen weiteren Bombe würde Putin dann die ganze Welt treffen. Was immer Putin und seine Kriegsmaschinerie dann angreifen, das träfe nicht mehr „nur“ die ukrainische Bevölkerung, sondern es träfe die internationale Gemeinschaft.
Jede weitere Aggressivität würde die russische Regierung in Erklärungsnot stürzen. Dies würde Putin und sein Regime so weit isolieren, dass selbst die meisten jener Länder und Regierungen, die ihm im Moment noch die Stange halten, dann tatsächlich auf Russland zeigen und sagen würden, dieser Krieg ist ein Angriff auf die ganze Welt.
Als die russische Regierung erneut versucht hatte, ukrainische Weizenlieferungen für das Ausland zu blockieren, fand diese Blockade nur auf dem Papier statt. Russland wagte es nicht, die Frachtschiffe zu versenken. Putin weiß genau, dass er sich das nicht leisten kann. Es brächte schlussendlich die ganze restliche Welt gegen ihn auf.
Mit dieser Initiative eines humanitären Großeinsatzes der Welt würde der zerstörerische Überfall auf die Ukraine höchstwahrscheinlich ein ziemlich rasches Ende finden. Dass eine große humanitäre Aktion zum Ziel führt, hatte Mahatma Gandhi schon unter Beweis gestellt.
Die Kirchen könnten mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie hochrangige Vertreter weit über die Ukraine mit ihren Zelten, Wohnmobilen und Containern stationieren. Dann könnten sie erklären, wer sie beschießt, trifft alle Religionen und alle Menschen der Welt, der dokumentiert seine Übergriffigkeit gegen die ganze Weltordnung.
Der Versuch eines Despoten, die Weltordnung zu Fall zu bringen
Und es ist genau das, worum es geht: Es ist der Versuch eines Despoten, die Weltordnung umzuwerfen und das Recht des Stärkeren zu verankern, der den Schwächeren schlicht und einfach auslöscht.
Putin will, dass in der Ukraine nur noch Ukrainer leben, die sich zu Russland bekennen. Er will die Ukraine so entvölkern, dass ein Menschenvakuum entsteht, das sich durch Umsiedlungen auffüllen lässt. Zumindest so soll die Ukraine letztlich doch ein Teil der russischen, imperialistischen Gesamtarchitektur werden.
Wenn dies gelingen würde, dann ist allerdings die Weltordnung so in ihren Grundfesten erschüttert, dass kein Land der Welt mehr sicher ist. Vor allem dann nicht, wenn es sich um ein kleineres Land handelt, auf das der größere oder stärkere Nachbar ein Auge wirft. Wie wir uns jetzt angesichts der Ukraine verhalten, hat direkte Auswirkungen auf die zahlreichen Konfliktherde andernorts. Denken wir nur an Taiwan und Korea: China und Nordkorea beobachten das Verhalten des Westens in der Ukraine genau. Wird der Westen die Freiheit, Demokratie und Menschenwürde schützen oder nicht?
Deshalb ist eine Bewegung nötig, die erkennt, dass Waffen und Geld nicht reichen werden, um den Krieg im nötigen Sinne zu beenden. Sondern es geht um die Menschen, und die will der Westen beispielsweise durch seine Menschenrechte schützen.
Putins Regime den Boden entziehen
Solch eine weltweite humanitäre Aktion wäre für Putin auch auf eine andere Art hochgefährlich. Weite Teile der russischen Bevölkerung würden die Frage stellen, warum diese Hilfsorganisationen nicht zu ihnen kommen. Denn sie frieren auch, führen großteils ein karges Leben, haben keine humanitäre Hilfe, wo sie solche benötigen.
Man sieht in Russland große schweigende Massen, die in Armut leben und vor lauter Angst den Mund nicht auftun. Sie nehmen alles hin, Hauptsache, es geht ihnen nicht selbst an den Kragen. Dabei wird es ihnen zukünftig noch mehr an den Kragen gehen, denn dieser sogenannte Ukraine-Konflikt ist nicht das einzige Ziel Putins. Laut Alexander Cherkasov, dem Vorsitzenden des Memorial-Menschenrechtszentrums, dem 2022 der Friedensnobelpreisträger zuerkannt wurde, ist es schon heute so schlimm und die Propaganda noch schlimmer wie unter Stalin und Breschnew, aber es wird stetig noch schlechter.
Eine solcher humanitärer Großeinsatz würde letztlich Putins Regime den Boden so gründlich entziehen, dass er kaum mehr eine Möglichkeit hätte, dem noch etwas entgegenzusetzen.
Zündfunke für den großen Friedenseinmarsch
Das Einzige, was fehlt, ist der Zündfunke dieser Idee, der Zündfunke dieser Bewegung!
Fragen wir uns also nicht, ob wir für oder gegen Russland sind, für oder gegen die Ukraine, für dieses oder jenes System. Sondern fragen wir uns: Sind wir für oder gegen die Menschenwürde? Was zählt ein Menschenleben? Aus einer hohen ethischen Sicht zählt auch das Menschenleben jedes einzelnen russischen Soldaten, den Putin in diesem Krieg verheizt.
Die einzige Antwort, die man Putins Verbrechen entgegensetzen kann, ist die Achtung der Menschenwürde, die Liebe zu den Menschen. Manche Verfassungen, wie in Deutschland, garantieren die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Nur hilft das den Ukrainern wenig, wenn wir nicht bereit sind, für sie einen entsprechenden Abwehrschirm in einer großen, international konzertierten Aktion aufzustellen.
Falls die Ukraine „fällt“ oder klein beigibt, dann wird das einen Dominoeffekt haben, denn es geht um Verbrechen gegen die Menschheit und die Grundfrage, wie menschlich, wie menschenwürdig die zukünftige Ordnung der Welt ist.
Insofern ist keiner zu gering, um etwas zu bewirken. Jeder kann diese Idee ins Spiel bringen, sie weitertragen, bis sie zu denen gelangt, die die Hebel in der Hand haben, um den große Friedensmarsch in die Ukraine zu organisieren und damit zu helfen, diesen Krieg und dessen schwere, globale Energie- und Wirtschaftskrise zudem zu beenden. Es sind doch Frieden, Demokratie, Recht und Ordnung sowie Wohlstand, was wir alle wollen, ob für uns, für unsere Welt, unser aller Zukunft, die Menschheit.