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Die Bedeutung eines krisenfesten und langfristig ausgerichteten Unternehmertums wird in Schönwetterzeiten unterschätzt. Auch dient der klassische Wertekanon im Business oft nur noch als Feigenblatt, das Gemeinwohl spielt beim Shareholder-Value keine Rolle mehr. Wie gelingt es trotzdem in unserer Welt des schnellen Geldes und der Umbrüche langfristig unternehmerisch erfolgreich zu sein?
Der Begründer des modernen Managements, der US-Ökonom Peter F. Drucker (1909–2005), attestierte zwar zutreffend: „Ohne Gewinn wird kein Unternehmen überleben, denn Gewinn ist der Preis des Überlebens.“ Doch die Jagd nach dem schnellen Geld, nach unersättlicher Gewinnmaximierung verkürzt seit Jahrzehnten die Lebensdauer von Unternehmen. Diese Maxime ist, wie viele inzwischen erkennen, kurzsichtig, rücksichtslos und lässt so manchen Kollateralschaden allzu gerne außer Acht. Die Gier nach hochgezüchteten Quartalsergebnissen gefährdet inzwischen das Grundverständnis von Unternehmertum bis in die Gründerszene hinein.
Das ebenfalls aus dem angloamerikanischen Raum übernommene Konzept der Start-up-Ökosysteme, das so gar nicht zu unserer europäischen Kultur passt, wird oft als Motor für eine glorreiche Zukunft gepriesen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch eine ernüchternde Realität: Laut Eurostat überleben in der EU nur 46% aller Unternehmensgründungen die ersten 5 Jahre. In Deutschland sind es sogar nur 38 Prozent. Die Gründungen mit vermeintlich rasantem Wachstumspotenzial, die Start-ups, verglühen noch schneller. Oft schon in den ersten 18 bis 36 Monaten. Nach 10 Jahren sind 90 Prozent aus dem Rennen.
Bei jedem Produzenten oder Landwirt würden bei solchen Ausfallquoten die Alarmglocken schrillen, denn schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass man das nicht lange überleben würde. Sofort würden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Situation zu retten und schnellstmöglich wieder ein wirtschaftlich gesundes Gleichgewicht herzustellen.
Auch viele Gründungen überleben nicht
Wir glorifizieren die Gründerkultur auf falsche Weise. Deshalb gehen Gründer falsch an die Sache heran. Wir nähren die Illusion des Ruhmes, des schnellen Geldes, des schnellen Exits, des vergoldeten Verkaufs seiner Start-up-Beteiligung, der einen Gründer zum Multimillionär machen soll. In der Praxis bleibt dies jedoch für über 99% eine Fata Morgana, denn ein solcher Exit findet bestenfalls in 0,005% der Fälle statt. Und schon gar nicht eine Milliardenbewertung als sogenanntes Unicorn. Das gelingt nur zwei von fünf Millionen Start-ups. Erfolg ist in der Gründerszene längst zur Ausnahme, Scheitern zur Norm geworden. Das ist ein krankes System, Gift für unsere Volkswirtschaft!
Doch es geht auch anders: Eine Transformation hin zu einer soliden Gründungskultur und einem robusten Unternehmertum, das den Erfolg wieder zur Norm erhebt, wäre kein Hexenwerk. Dafür gibt es altbewährte Spielregeln, die den langfristigen Unternehmenserfolg deutlich wahrscheinlicher machen: Dazu gehören wetterfeste kaufmännische Tugenden, gesunder Menschenverstand und nachhaltiges Wirtschaften.
Spielregel 1: Am Nutzen orientieren
Wer unternehmerisch fortwährend erfolgreich sein will, orientiert sich an Werten und am Nutzen, nicht primär am Profit. Deshalb sollten wir uns den so weisen Leitsatz von Peter F. Drucker wieder ganz oben auf die unternehmerische Agenda setzen: „Keine unserer Institutionen existiert für sich selbst und ist ein Selbstzweck. Jede ist ein Organ der Gesellschaft und existiert um der Gesellschaft willen. Die Wirtschaft ist da keine Ausnahme. Freie Unternehmen lassen sich nicht damit rechtfertigen, dass sie gut für die Wirtschaft sind. Sie können nur damit gerechtfertigt werden, dass sie gut für die Gesellschaft sind.“ Um dies zu erreichen, braucht es Weitsicht, Umsicht und Rücksicht.
Spielregel 2: Tugenden wichtig
Nachhaltiges Unternehmertum benötigt „wetterfeste kaufmännische Tugenden“. Es braucht ökonomische, soziale und ökologische Verantwortung. Unternehmen, die zukunftsfähig sein wollen, benötigen ein Wertesystem als tragendes Fundament und Unternehmer sowie Manager, die diese Werte als Vorbilder tagtäglich vorleben. Wer weiß, wofür er antritt und steht, orientiert sich nicht am schnellen Geld, sondern denkt langfristig. So bekommt der Begriff »Nachhaltigkeit« eine noch tiefere Bedeutung: Denn Erfolg und Sinn schließen sich nicht aus, sondern potenzieren einander.
Dabei müssen wahre Werte eine gewichtige Rolle spielen, denn sie sind bewährte, zeitlos gültige, Orientierung gebende Universalprinzipien und zugleich ein Handlungsrahmen. So auch für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, für Nachhaltigkeit, für anständiges Unternehmertum, für gute Führung und Organisation und damit für langfristigen Erfolg. Wahre Werte sind der Fels in der Brandung, sie stehen für das Gemeinwohl, die Würde und die Nachhaltigkeit, weshalb sie die geerdeten, unerschütterlichen Gegenspieler zur unersättlichen Gier sind.
Spielregel 3: Gesunden Menschenverstand einsetzen
Es braucht keine hochtrabenden Strategieprojekte, sondern vor allem gesunden Menschenverstand. Es gibt ganz klare strategische Kernfragen, die sich seit tausenden von Jahren nicht geändert haben. Schon bei der Erfindung von Fass und Rad galt derselbe Fragekanon, wie:
- Will jemand mein Angebot? Gibt es überhaupt eine Nachfrage dafür oder kann ich sie wecken?
- Wem nützt mein Angebot und wie konkret?
- Kann ich es zu einem vernünftigen Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten, um damit Geld zu verdienen?
- Gibt es bereits andere Anbieter in diesem Segment? Wenn ja, was macht mein Angebot attraktiver?
- Mit welchen Kernkompetenzen kann ich Einzigartigkeit erreichen und beibehalten und wie kann ich mich dabei so weit wie möglich vor Nachahmung schützen?
Trotzdem werden jährlich Milliarden für strategisches Management ausgegeben, obwohl zahlreiche Studien belegen, dass rund 70 Prozent aller strategischen Planungen und Initiativen scheitern. Das kann, muss aber nicht sein. Bereits Ende der 1970er Jahre stellten die beiden Kognitionspsychologen und Nobelpreisträger Daniel Kahneman (geb. 1934) und Amos Tversky (1937 – 1996) langfristige Planungsprozesse in Frage. In ihrer Theorie des Planungsfehlers – einem Grundstein der heutigen Verhaltensökonomie – kamen sie zu dem Schluss, dass Menschen generell dazu neigen, Zeit, Kosten und Risiken zukünftiger Handlungen zu unterschätzen und deren Nutzen zu überschätzen.
Hinzu kommt, dass niemand die Zukunft kennt und kennen kann. Wir sind nicht einmal in der Lage, am Morgen die Börsenkurse des Abends präzise vorherzusagen. Wie sollte das bei der Komplexität der Märkte, einer Volkswirtschaft, von Kontinenten und der Weltwirtschaft über Jahre und Jahrzehnte möglich sein?
Der heutige Zeitgeist erfordert es, relativ nahe an der Gegenwart zu agieren, zu planen und nicht bürokratisch mit 5-Jahresplänen zu arbeiten, die ohnehin nicht halten werden. Die Zeiten sind einfach zu schnelllebig geworden. Improvisation und Flexibilität sind heute die Schlüssel zum Erfolg!
Spielregel 4: Organisches Wachstum notwendig
Nachhaltiges Unternehmertum basiert auf organischem Wachstum. Lernen wir von der Meisterin der Nachhaltigkeit, der Natur: Alles, was zu schnell wächst, zu schnell ins Wachstum getrieben wird, stirbt schnell. Ganz einfach, weil es keine gesunde, robuste Basis entwickeln kann.
Die klassische Grundidee des Unternehmertums orientiert sich an der Natur, am Lauf der Zeit und der Evolution, am organischen Wachstum. Das stellt sicher, dass man sich nicht gleich überfordert und die erste ernsthafte Krise einen nicht gleich zu Fall bringt. Organisch heißt aber auch: Alles braucht seine Zeit. Wenn es zu schnell geht, wird es gefährlich. Man kann weder das Wachstum eines Grashalms, noch das einer Eiche auf ein paar Sekunden beschleunigen.
Eines der Erfolgsgeheimnisse der Asiaten ist, dass sie lieber viele kleine Schritte schnell machen als einen zu großen Schritt zu schnell. Denn so kann man noch rechtzeitig handeln, umsteuern und großen Schaden abwenden, wenn man merkt, dass man auf dem Holzweg ist, dass die Praxis wieder einmal nicht der Theorie folgt. Denn Praxis bricht erfahrungsgemäß die Theorie.
Spielregel 5: Eigenverantwortliches Handeln ausschlaggebend
Überdauernde Unternehmen finanzieren sich weitgehend selbst und werden von Vollblutunternehmern geführt. Ein Vollblutunternehmer ist jemand, der eigenverantwortlich handelt, das Risiko trägt und sein Unternehmen von Anfang an durch gesunde Geschäfte mit Kunden aufbaut. Deshalb arbeiten sie fast nie mit OPM (other people’s money).
Deshalb wird ein solcher Unternehmer auch genügend Umsicht, Vorsicht und Sorgfalt walten lassen und ein ernsthaftes Interesse daran haben, dass sein Unternehmen langfristig prosperiert. Und weil Herzblut, Schweiß und Tränen im Unternehmen stecken, wird er oder sie notfalls auch für dessen Erhalt kämpfen. Koste es, was es wolle!
Daher braucht ein Vollblutunternehmer seine Gestaltungsfreiheit und Unabhängigkeit, um mit Haut und Haaren für das Unternehmen einzustehen.Sobald aber OPM ins Spiel kommt, wofür meist Anteile am Unternehmen samt Mitspracherecht abgegeben und weitere, knallharte Auflagen hingenommen werden müssen, geht es nicht mehr nur darum, erfolgreich am Markt zu performen. Vielmehr kommt oft eine neue Front durch die Kapitalgeber hinzu.
Und schon sitzt man zwischen allen Stühlen. Vorbei ist es mit der Gestaltungsfreiheit, der Unternehmer wird entwertet, zum angestellten Manager im eigenen Unternehmen degradiert. Wer nicht kontinuierlich eine fürstliche Ernte einfährt, läuft Gefahr, kurzerhand ausgetauscht zu werden. Denn bei OPM geht es selten um organisches Wachstum und Loyalität durch dick und dünn, sondern vor allem um das schnelle Geld. Wie beim Wetten auf Pferde beim Pferderennen. Viele Investoren sprechen deshalb gerne davon, auf das richtige oder das falsche Pferd gesetzt zu haben.
Spielregel 6: Richtige Geisteshaltung von Bedeutung
Unternehmer ist keine Berufsbezeichnung, sondern eine tief verwurzelte Geisteshaltung von Menschen. Die klassische, altbewährte Grundidee des Unternehmertums, noch bevor Unternehmer zu CEOs, Managern oder Geschäftsführern wurden, war: Aus einer Geschäftsidee, die Kundennutzen schafft und für die es eine echte Nachfrage gibt, ein Familienunternehmen zu gründen, das Generationen überdauert.
Unternehmen wurden von Menschen gegründet, die für sich selbst erkannt und entschieden haben: „Ich bin ein berufener Unternehmer. Und das werde ich sein, solange meine körperliche und geistige Gesundheit und Kraft es erlauben.“
Berufene Unternehmer wissen, dass sie sich für eine Lebens- und Berufsform entschieden haben, in der sie letztlich eine Art »Alphatier« sind, sein müssen, mit allen Konsequenzen. So trifft eine Unternehmer letztlich wichtige Entscheidungen – in einer gewissen Einsamkeit – immer mit sich selbst. Denn diese Verantwortung, dieses Risiko nimmt ihm niemand ab.
Das Unternehmerleben sieht nach außen oft toll aus. Aber ein Unternehmer muss auch aushalten, dass er an einem Tag von den Medien gefeiert und am nächsten Tag heftig kritisiert oder gar fallen gelassen wird. Unternehmer brauchen somit schon in ihrer DNA und damit in ihrer Mentalität viel von ihren drei heiligen Quellen, nämlich Mut, Kraft und Ausdauer, egal was kommt.