Dieser Artikel wurde in der Südtiroler Wirtschaftszeitung (SWZ) und in StartUp Valley News veröffentlicht. Der Link zum Artikel in StartUp Valley News, die PDF/Printausgabe hier (SWZ).
Start-ups – kein Erfolgsrezept: „Da ist Feuer am Dach“!
In der Start-up-Branche ist Erfolg die Ausnahme, Scheitern die Norm. Das ist mittlerweile bekannt. Wann aber wachen wir endlich auf, erkennen diese alarmierende Wahrheit und unternehmen etwas dagegen? Wenn jemand 80 bis 90 Prozent Ausschuss produziert und viele Projekte in den Sand setzt, dann ist Feuer am Dach. Denn jede:r weiß, dass man sich das nicht lange leisten kann. Am Ende steht der Ruin. Bei anderen Unternehmen würden sofort alle Anstrengungen unternommen, um die Situation so schnell wie möglich wieder in die wirtschaftlich notwendigen Bahnen zu lenken.
Wir schüren unverantwortlich Illusionen
Mit der Start-up-Szene machen wir jedoch das genaue Gegenteil. Wir befeuern den Mythos unbekümmert munter weiter. Wir glorifizieren diesen Hype mit einigen pompösen Erfolgsgeschichten und anderen Silicon-Valley-Illusionen, schicken so die nächsten jungen Gründer:innen ins Start-up-Minenfeld. Dabei übersehen wir, dass die Start-up-Szene auf diese Weise überproportionale Kollateralschäden für unsere Volkswirtschaft und erst recht für die unvermeidlich zu vielen, scheiternden Entrepreneure anrichtet.
Da passiert viel Verschwendung von materiellen und immateriellen Ressourcen, das produziert Leid, Traumata, Risikoaversion, Schaden an viel unternehmerischem Potenzial, an Karrieren, Existenzen, Gesundheit und Familien. Dabei wäre ein U-Turn, der Erfolg wieder zur Norm werden lässt, gar kein Hexenwerk.
Die Ursachen für die hohen Misserfolgsquoten sind vielfältig. Erfolg zu haben, ist keine große Kunst. Die große Kunst ist, den Erfolg langfristig zu halten. Dies ist eine permanente Herausforderung, die nach ganz eigenen Spielregeln und Mechanismen funktioniert. Deshalb ist es notwendig, einige Hebel zu nutzen, um eine Trendwende einzuleiten.
Mindset: Es braucht vorrangig bei den Gründenden das Bewusstsein, dass ein Start-up zunächst immer nur ein Versuch mit ungewissem Ausgang ist. Und zwar so lange, bis es bewiesen hat, dass es aus eigener Kraft wirtschaftlich tragfähig ist. Das dauert, so es überhaupt gelingt. Insofern ist es reines Gambling, wenn man – sei es aus Naivität, Unerfahrenheit, Übermut, Selbstüberschätzung, Mangel an Professionalität oder Kalkül – ans Werk geht und dabei alles auf eine Karte setzt. Es gilt, das Ikarus-Dilemma auszumerzen – damit meine ich die gefährliche Gratwanderung von Draufgängern zwischen Ehrgeiz und Übermut, die wie Ikarus zu schnell zu hoch hinauswollen, sich dabei überfordern und abstürzen.
Ausbildung und Vorbereitung: Vielen jungen Menschen, die gründen, fehlt das Know-how und natürlich erst recht die Erfahrung. Selbst wenn die Promotion top gelaufen ist, bleibt das theoretisch erworbene unternehmerische Wissen eben nur blanke Theorie. Nur Praxis bricht die Theorie. Auch eine rein theoretische Ausbildung zum Piloten ohne jahrelanges intensives Training im Simulator und in der Realität, bei jedem Wetter und unter schwierigsten Bedingungen, wäre zum Scheitern verurteilt. Hat der Flugschüler schließlich die Pilotenlizenz erworben, stehen erst einmal Jahre der Bewährung als Co-Pilot an, bevor der Aufstieg zum Flugkapitän gemeistert ist.
Warum sollte das beim Unternehmertum grundsätzlich anders sein? Nicht umsonst untermauern fundierte Statistiken, dass die erfolgreichsten Gründungen jene sind, bei denen die Unternehmer zuvor mindestens 15 Jahre einschlägige Berufserfahrung gesammelt haben. Jedes weitere Jahr an Erfahrung erhöht die Erfolgschancen im Übrigen weiter.
Innovation: Dreh- und Angelpunkt jedes erfolgreichen Unternehmens ist der überzeugende Kundennutzen des Angebots im Wettbewerb mit anderen. Gerade Neueinsteiger benötigen dafür einen überzeugenden Wurf. Das ist alles andere als einfach. Allzu oft haben sie keine zu Ende gedachte und erprobte Innovation, sondern eine Scheininnovation. Eine, die zunächst als bombastische Lösung daherkommt, letztlich aber scheitert oder noch viel größere Probleme verursacht. Studien zeigen, dass, wenn es um die notwendige Steigerung des Kundennutzens geht, rund 70 Prozent der Innovationen enttäuschen. Bei digitalen Innovationen – einem zentralen Spielfeld für Start-ups – ist die Quote noch schlechter.
Finanzierung: Es ist riskant und unnötig, der Doktrin zu folgen, automatisch den Weg des Risikokapitals einzuschlagen. Allzu oft konzentrieren sich Start-ups auf der Grundlage traumtänzerischer Businesspläne darauf, anstatt Pilotkunden zuerst Risikokapitalgeber an Bord zu holen.
Natürlich haben auch Risikokapitalgeber ihre Berechtigung. Aber es gibt keine stichhaltigen Beweise dafür, dass man mit Venture-Capital erfolgreicher ist. Im Gegenteil: Viele VCs wetten auf Start-ups wie auf Pferde beim Pferderennen. Sie hoffen auf eine hohe Gewinnquote bei zumindest einigen Kandidaten und Kandidatinnen, um damit viele weitere Wetten finanzieren zu können. Sie sprechen sogar offen darüber, ob sie auf das richtige oder das falsche Pferd gesetzt haben.
Es geht um Nachhaltigkeit
Es gibt ein Dutzend weiterer wichtiger Stellschrauben, um das Ruder herumzureißen. Etwa unsere Unkultur des Scheiterns oder die Problematik toxischer Mentoren. Letztlich geht es auch bei der Kultur der Start-up-Szene um Nachhaltigkeit. Das funktioniert aber nur, wenn man sich an wahren Werten orientiert und nicht am schnellen Geld. Draufgängertum und Pferdewetten sind dafür definitiv der falsche Ansatz.