Entrepreneurship: für die Ewigkeit gebaut?
Diesen Artikel hatte ich zuerst in Englisch in der Sunday Times of Malta veröffentlicht. Online-Link "Entrepreneurship: Built to last" oder als PDF/Printausgabe hier zu finden.
Die durchschnittliche Lebensdauer von Unternehmen sinkt bedenklich. Derzeit beträgt sie nur knapp zehn Jahre. Neugründungen scheitern inzwischen sogar bis zu 80 Prozent binnen fünf Jahren. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, denn das Unternehmertum ist das Rückgrat von Wirtschaft und Wohlstand.
Der Hauptgrund dieser negativen Entwicklung: Es gibt immer weniger berufene Unternehmer! Vielmehr besetzen – angetrieben von der vermeintlich tollen Masche Start-ups zu gründen – zunehmend Neo-Manager dieses Feld. Viele Start-ups werden nur gegründet, weil es dafür Förderungen oder irgendwelche Finanzmittel gibt, zum Beispiel von renditehungrigen Investoren. Der Großteil davon ist erst gar nicht auf lange Sicht angelegt.
Diese neumoderne Wegwerfgesellschaft des Unternehmertums, ja fast einer Heuschreckenkultur, ist nicht nachhaltig. Sie verursacht auf lange Sicht Schaden sowohl an unserer Volkswirtschaft als auch an der Resilienz der Wettbewerbsfähigkeit. Leider wird diese Fehlentwicklung von der Politik und dem Bildungssektor noch befeuert.
Die jahrtausendealte, klassische Grundidee des Unternehmers, der ein generationenüberdauerndes Familienunternehmen plant – welche insbesondere die europäische Wirtschaft so robust machte – geht hingegen zunehmend vor die Hunde.
Neo-Manager, prestigeträchtig als „Co-Founder“ oder irrigerweise sogar als „Entrepreneure“ bezeichnet, tragen meist nur ein asymmetrisches Risiko. Anders als der klassische Unternehmer gehen sie kaum Haftungen oder Verantwortungen ein. Sie arbeiten vorwiegend mit OPM (other people’s money – anderer Leute Geld), weshalb ihr Anteil an der Firma sowie ihr Einfluss dort mit jeder Finanzierungsrunde schrumpft. Bald gehört ihnen das Unternehmen nicht mehr mehrheitlich. Und das wird es auch in der Zukunft nicht. Ihre Familien sind nicht involviert und es gibt wenig emotionale Bindung. Die Neo-Manager haben keine langfristige Zukunft in dem jeweiligen Unternehmen geplant.
Beim klassischen Unternehmer ist es hingegen er, der schlussendlich als mehrheitlicher Eigentümer haftet, ganz ein anderes Risiko eingeht und deshalb mit vollem Herzblut daran hängt, dass sein Unternehmen erfolgreich ist. Ansonsten geht er mit Haut und Haaren unter.
Neo-Manager hingegen haben ein völlig anderes Selbstverständnis. Ob es gut geht oder nicht, was immer sie auch leisten, sie bekommen ansehnliche Gehälter und Boni. So die Sache aufgeht, gibt’s obendrauf Exit-Prämien bzw. Abfindungen und dann verschwinden sie wieder.
Steve Jobs, der Vater von Apple, dem bisher wertvollsten Unternehmen der Welt ($3 Billionen), war diesbezüglich sehr deutlich in seiner Biografie: „Ich kann es nicht ausstehen, wenn Leute sich selbst als »Unternehmer« bezeichnen, wenn sie in Wirklichkeit nur versuchen, ein Start-up aufzubauen, um es dann zu verkaufen oder an die Börse zu bringen, um entsprechend abzukassieren, um daraufhin anderswo weiterzumachen. Sie sind nicht bereit, die Arbeit auf sich zu nehmen, die für den Aufbau einer echten Firma notwendig ist. Dies ist die schwerste Aufgabe, die es im Geschäftsleben gibt. Auf diese Weise trägt man wirklich etwas bei und fügt dem Vermächtnis derer, die vor einem da waren, etwas hinzu. Man baut eine Firma auf, die auch noch eine oder zwei Generationen von heute aus gesehen für etwas stehen wird. Genau das haben Walt Disney, Hewlett und Packard und die Leute, die Intel aufbauten, getan. Sie schufen eine Firma, die bleibt, nicht nur eine zum Geldverdienen. Ich wollte erreichen, dass Apple genau so eine Firma ist.“ (Kapitel 41 - Vermächtnis)
Auch in der TV-Dokumentation ‚Triumph der Nerds‘ (1996) hatte er klare Worte für sein Unternehmerverständnis: „Ich hatte etwas über eine Million Dollar, als ich 23 war, über 10 Millionen mit 24 und mehr als 100 Millionen mit 25 und es war egal, weil ich es nicht fürs Geld gemacht habe.“
Die nachhaltige Grundidee des klassischen Unternehmertums basiert auf organischem Wachstum. Das bedeutet, man fängt klein an: mit wenigen Mitarbeitern, kleinen Strukturen, mit überschaubarem Finanzvolumen und Einsatz.
Organischer Aufbau erfordert Zeit. Man kann das Wachstum eines Grashalms oder eines Baumes eben nicht auf wenige Sekunden beschleunigen. Eine nachhaltige, robuste Entwicklung braucht Hege und Pflege, stetige Entfaltung. Alles was künstlich gehypt, gepusht und beschleunigt wird, überfordert schließlich den Markt oder Unternehmer.
Dies zeigt sich deutlich bei z. B. Influencern: die fangen allein an, machen bald mit einem Team auf fünf Kanälen 100 Sachen, alle zwei Stunden sind sie live online zu sehen und nach zwei bis fünf Jahren haben sie ein Burnout oder das Interesse an ihnen verglüht – und das Unternehmen kollabiert.
Dies ist der amerikanische Weg, den zu gehen für uns Europäer nicht sinnvoll ist. Genauso wenig wie aus so manchem Land ein neues China, Singapur oder Südkorea machen zu wollen. Die Kopie ist eben am Schluss nie so einzigartig, wie das Original. Heutzutage sehen viele Shoppingmeilen in Innenstädten weltweit gleich aus, beherbergen dieselben Restaurantketten, Läden, Marken, Schriftzüge und Schaufenster. Ist das besser als vorher? Wollen wir überall ein New York, Shanghai oder Hanoi? Nein!
Besinnen wir uns doch auf das, was uns auszeichnet: Für „Good Old Europe“ ist eben der “Good Old European Way“ stimmig. In Europa machen Kleinstunternehmen sowie KMU 99 Prozent aller Unternehmen aus. Zwei Drittel aller Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft sind in KMU tätig. Dies ist das robuste Rückgrat unserer Wirtschaft. In Europa bauen wir solide Häuser für Generationen, die auch Stürmen widerstehen. Ein Amerikaner baut sein Haus binnen Wochen, dafür ist es aber auch in einer Stunde vom Tornado niedergemäht.
Das sind einfach andere Kulturen, andere Verständnisse. Wir als Europäer haben viele Stärken, Kompetenzen, Talente und eine reiche Geschichte. Diese sollten wir nicht zugunsten von „modernen“ Konzepten aufgeben, die hierzulande nicht passend sind. Zudem sollten wir dringend die regionale Komponente wieder stärken. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell die Globalisierung stottert. Mehr Regionalität macht uns zwar nicht völlig autark, dennoch fördert es die Resilienz der Wirtschaft und reduziert Abhängigkeit.
Es ist an der Zeit nicht nur unsere Ökologie, sondern auch Ökonomie nachhaltig auszurichten: Vielleicht sind die guten, schönen, alten Zeiten – von so manchem als etwas rückständig belächelt – doch solche gewesen und man könnte so manch Gutes davon in die moderne Welt wieder einbetten. So auch das altbewährte, klassische, resiliente Unternehmertum. Denn was man modern nennt, muss nicht immer eine Verbesserung sein.