Der Trugschluss mit dem Klimaschutz
Mein Artikel wurde in der Times of Malta (ToM) sowie in der SWZ - (Südtiroler Wirtschaftszeitung) veröffentlicht.Der Link zum Artikel in der „ToM" bzw. „SWZ", die PDF/Printausgabe ist jeweils hier und hier zu finden.
CO₂ ist nicht das Hauptproblem. Panische Entscheidungen verursachen viel Schaden.
Unbestritten, wir erleben einen Klimawandel. Für uns ist das neu. Für unseren Planeten nicht. Ebenso folgen eine globale Herausforderung und Krise der nächsten. Unsere Welt ist zur VUCA-Welt geworden – einer Welt aus volatility, uncertainty, complexity, ambiguity.
Umbrüche bringen Politik an Grenzen
Viele glauben - auch Politiker und Parteien -, mit radikalen Ideen müsse man nun das Ruder herumreißen. Ansonsten gehe die Welt unter.
Die Devise lautet: komplette Kehrtwende, völliges Umdenken. Von der Globalisierung zur Regionalisierung, vom Verbrenner zum Elektroauto, von klimaschädlichen Emissionen zu Nullemissionen. Rein und raus. Wir wollen wieder rein in den Kohlestrom und raus aus der Atomenergie – oder war es doch umgekehrt?
Bei alledem bedenkt kaum jemand, was geschieht, wenn wir panikartig das Steuer herumreißen.
Gesamtgesellschaftliche Panik
Wer das Ruder herumreißt, löst zwar möglicherweise schnell ein Problem, häufig aber entstehen dadurch jede Menge neuer Probleme. Jede Handlung hat Konsequenzen, bei großen Themen komplexe. Die Wissenschaft spricht dabei von „Effekten zweiter und dritter Ordnung“. Sie sind es, die es uns so schwer machen, die Dinge richtig einzuschätzen.
Unter der ersten Ordnung versteht man die unmittelbaren Ergebnisse und Auswirkungen einer Entscheidung. Effekte zweiter Ordnung sind die längerfristigen Auswirkungen. Effekte dritter Ordnung zeigen sich oft weitverzweigt erst später und ganz anders als erwartet. Vorhersehbar sind sie auf den ersten Blick selten. Unser Denken ist zu unterkomplex.
Die reale Komplexität ähnelt dem Phänomen des Schmetterlingseffektes, benannt nach dem Vortrag von 1972 des US-amerikanischen Wissenschaftlers Edward Lorenz (1917-2008): „Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?“
Und darin lauert die Gefahr. Wer sich auf die erstbeste Option stürzt oder in Hektik entscheidet, unterschätzt die Effekte zweiter und erst recht dritter Ordnung. Auch Vorurteile, Scheuklappen und zu wenig Nachdenken führen zu Fehlentscheidungen.
Und dann kam alles anders
Schon oft kam alles anders als gedacht. So hatten sich viele Staaten in Europa lange auf russisches Gas verlassen und die nächsten 50 Jahre damit geplant. Deutschland war zu 55 Prozent abhängig, Österreich zu 90 Prozent. Doch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine Ende Februar 2022 machte diese Planung innerhalb weniger Tage zunichte.
Oder denken wir an den berüchtigten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome von 1972. Wachse die Weltbevölkerung weiter so, habe die Menschheit bald alle natürlichen Ressourcen verbraucht, vom Erdöl bis zu Metallen und Mineralien. 2008 sei das Kupfer erschöpft, wenn auch die Chinesen Telefonanschlüsse bekämen.
Wie der US-Wirtschaftswissenschaftler Julian Simon (1932-1998) schon 1981 in seinem Buch „The Ultimate Resource“ entlarvte, lag der Club of Rome mit fast allen Prognosen falsch. Die Ressourcen sind uns nie ausgegangen, man hat sogar noch mehr gefunden, manche haben sich vervierfacht. Sie sind real nicht einmal teurer geworden.
Selbst die Luftverschmutzung ging alsbald zurück – die sechs wichtigsten Luftschadstoffe laut der US-Umweltschutzbehörde EPA zwischen 1980 und 2014 um mehr als zwei Drittel. Flüchtige organische Verbindungen (VOCs), Stickstoffdioxid (NO2), direkter Feinstaub, Kohlenmonoxid (CO) und Schwefeldioxid (SO2) wurden zwischen 53 und 81 Prozent reduziert. Blei sogar um 99 Prozent.
Nach den Warnungen vor dem Waldsterben in den 1970er und 1980er-Jahren befürchteten viele, dass der saure Regen die europäischen Wälder in chemische Wüsten verwandeln würde. Das geschah jedoch nicht – teils weil die Schadstoffbelastung zurückging, teils weil die Warnungen übertrieben waren. Sogar die Abholzung der Wälder kam in den wohlhabenden Ländern zum Stillstand. Die Waldfläche in Europa ist zwischen 1990 und 2015 sogar ein wenig gewachsen.
Zukünftige Entwicklung völlig falsch eingeschätzt
Zahlreiche Prognosen unterschätzen die Kreativität des Menschen, das Potenzial des technologischen Wandels, die effizientere Nutzung von Ressourcen, die Entdeckung neuer Lagerstätten und von Ersatzstoffen. Die Abhängigkeit von Kupfer sank durch alternative Materialien – wir telefonieren zunehmend über Glasfaser und Funksignale. Die Schwarzmalerei scheint grundsätzlich davon auszugehen, dass es keinen Fortschritt gibt.
Doch die Menschen finden Lösungen. Naturgemäß benötigen kluge, nachhaltige Problemlösungen ein umfassenderes Denken und Zeit. Manchmal ist es besser, kleine Schritte zu gehen, als das Ruder herumzureißen. So lassen sich manche Fehler korrigieren, bevor der Schaden zu groß ist.
Weg vom Klimaschutz, hin zum Menschenschutz
Sicherlich hat unser respektloser Umgang mit der Natur den Klimawandel beschleunigt. Aber er ist nicht allein das Werk des Menschen. Schon deshalb ist die Vorstellung, die Menschheit könne das Klima schützen, abstrus. Vor wem denn? Vor uns Menschen?
Kein Mensch kann Naturkatastrophen oder die nächste Eiszeit verhindern. Das machen die Naturgewalten schon ganz allein.
Deshalb wäre es sinnvoll, vom „Klimaschutz“ wegzukommen und die Menschen vor dem Klimawandel zu schützen. Wir wissen nicht, wie sich das Klima in 30 Jahren tatsächlich entwickelt.
Und Prognosen sind, wie zuvor erwähnt, schwierig – wir können morgens nicht einmal die Aktienkurse des Abends treffsicher vorhersagen. Wie also sollte das bei der Komplexität des Klimas auf Jahrzehnte möglich sein?
Doch wir erleben eine unverantwortliche Panik über ein Zukunftsszenario, auf das niemand sein Leben wettet, ob es eintritt. Selbst wenn es vonseiten unseres Planeten zu einer anhaltenden Klimaerwärmung kommen sollte, wie seit Urzeiten immer wieder: Dann wäre es doch viel sinnvoller, jetzt zu schauen, wie wir die Menschheit bestmöglich schützen. Wo und wie leben und bauen wir, wie wird die Landwirtschaft aussehen? Und dabei sollten wir nicht so tun, als wäre das CO₂ das Hauptproblem.
Erst arme Länder zum Umweltschutz befähigen
Ja, wir müssen endlich Abstriche machen, dazu beitragen, unsere Emissionen und Schadstoffe zu reduzieren, deutlich weniger Ressourcen und Energie zu verbrauchen und die Natur nicht über Gebühr zu belasten.
Aber dabei sollten wir nicht vergessen, dass in den EU-Staaten nur etwa sechs Prozent der Weltbevölkerung leben – unsere Hebelwirkung ist also gering. China, der weltweit größte Emittent von Treibhausgasen, baut sogar neue Kohlekraftwerke. Wie wollen wir da ein Gegengewicht bilden?
Allerdings wird die Situation in armen Ländern immer schlimmer. Darum sollten wir zuerst ihnen helfen, sich moderne Öko-Technologien leisten zu können. Denn was immer wir bezüglich Klimaschutz tun, trägt die Mehrheit weltweit ohne Hilfe gar nicht mit.
Wie die indische Premierministerin Indira Gandhi (1917-1984) in ihrer fulminanten Rede 1972 auf der ersten weltweiten Umweltkonferenz in Stockholm schon feststellte: „Sind nicht Armut und Not die größten Umweltverschmutzer? Die Umwelt kann nicht unter den Bedingungen der Armut verbessert werden.“
Sinnvoll wären daher Maßnahmen, die Ressourcen und Energie einsparen und die überbordenden Emissionen unserer Luxusgesellschaft verringern. Klug wäre es etwa, Kreuzfahrten, die Oberklasse aller Pkws und Privatjets abzuschaffen und Flüge auf ein sinnvolles Maß zu beschränken.
Und da die Herstellung von Beton bekanntlich ein Klimakiller ist: Warum errichten wir nicht zeitlos schöne, nachhaltigere Gebäude und bewahren sie langfristig, statt sie nach wenigen Jahrzehnten wieder abzureißen?
Doch all das tun wir nicht. Stattdessen steigen wir auf Elektroautos um, deren Strom nur scheinbar aus der Steckdose kommt und deren Ökobilanz übel ist. Über die Herstellung und Entsorgung der Batterien sprechen „Klimaschützer“ äußerst ungern. Der nötige gigantische Ausbau der Stromnetze wird nicht nur sündhaft teuer, sondern ist angesichts künftiger alternativer Technologien rausgeworfenes Geld, eine Hypothek für Generationen.
Doch wir versteifen uns auf ein einziges Konzept und verbauen die Entwicklung anderer Technologien politisch.
Hochgeheizte Digitalisierung
Auch über den gigantischen und rasant steigenden Energieverbrauch der Digitalisierung müssen wir reden. Allein der weltweite Stromverbrauch für das Streaming von Spielfilmen, YouTube-Videos, TV und Musik liegt bei rund 200 Milliarden Kilowattstunden im Jahr. Das entspricht in etwa dem Stromverbrauch aller Privathaushalte in Deutschland, Italien und Polen zusammen. Auch die Blockchain-Technologie für Kryptowährungen oder die künstliche Intelligenz verbrauchen exorbitante Mengen an Strom und Wasser zur Kühlung der Rechenzentren. So „schluckt“ allein jede ChatGPT-Unterhaltung einen halben Liter Wasser.
2020 entfielen fast 10 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs auf die Herstellung und den Betrieb digitaler Geräte. Bis 2030 wird dieser vermutlich um bis zu 80 Prozent ansteigen, binnen 15 Jahren sich möglicherweise gar verdoppeln.
Wir könnten viel davon einsparen, wenn wir die modernen Medien nicht immer ungezügelter ausbauen würden.
Das Hauptproblem: Der Müll
Statt zu überlegen, wie wir lokal begrenzt kurzfristig das CO₂ reduzieren, sollten wir besser das Hauptproblem angehen, den Abfall.
Nirgendwo hatte die Natur jemals die Idee von Restmüll. Vielmehr ist alles in der Natur ein Kreislauf. Nichts bleibt nutzlos oder wertlos übrig. Die Natur hat schon immer klug recycelt.
Würden wir dieses Konzept adaptieren und sämtliche Systeme in Kreisläufen konzipieren, wird auch kein CO₂ als „Müll“ anfallen, sondern in einem Kreislauf bleiben.
Doch wir schauen nur auf das CO₂, auf nur ein Symptom von vielen. Wir denken, wenn wir an dieser Stellschraube drehen, wird alles besser. Aber das ist ein Irrtum. Es ist andersherum: Wenn wir im Sinne der Natur in Kreisläufen leben, erübrigt sich das CO₂-Problem von selbst.
Wir sollten uns also die Konzepte der Natur zum Vorbild nehmen, sodass die vielen negativen Auswirkungen gar nicht erst entstehen.
Es sollte uns alarmieren, dass wir allein mit der Nahrung schon heute durchschnittlich 5 Gramm Mikroplastik, das Gewicht einer Kreditkarte, pro Woche zu uns nehmen. Inzwischen hat die MedUni Wien nachgewiesen, dass die winzigen Mikro- und Nanoplastikteilchen sogar die Blut-Hirn-Schranke überwinden und ins Gehirn gelangen.
Es gäbe unzählige sinnvolle Ideen: Wir müssen nicht 12 Modekollektionen pro Jahr haben, Produkte müssten nicht aus übertriebenen Hygienegründen mehrfach verpackt sein und vieles mehr. Doch wir produzieren Müll ohne Ende.
Innovationen besser durchdenken
Auch bei Innovationen werden die Effekte der zweiten und dritten Ordnung selten ganzheitlich betrachtet. So verbrauchen LEDs zwar bis zu 90 Prozent weniger Strom, aber ihre Herstellung und Entsorgung ist viel problematischer als die der alten Glühlampen, die lediglich aus Glas und wenig Metall bestanden. Zudem halten LED-Leuchten selten die versprochenen 30.000 Stunden, weil ihre Vorschaltgeräte häufig weit früher kaputtgehen und sich nicht reparieren lassen.
Und deren Bestandteile - von Kunststoffen über Elektronik bis hin zu Seltenen Erden, deren Abbau mit großen Umweltschäden verbunden ist – landen de facto im Restmüll, denn das fachgerechte Recyceln ist zu teuer. Dazu kommt der Rebound-Effekt: Weil LEDs sparsam sind, setzen Verbraucher viel mehr Lampen ein als vorher.
Von der Natur lernen
Ob Elektroautos oder LEDs: Die „Effekte zweiter und dritter Ordnung“ waren so nicht gewollt, obwohl sie mit etwas Nachdenken absehbar gewesen wären.
Der Natur passiert so etwas nicht. Alles in der Natur besteht aus Kreisläufen. In diese Kreisläufe sollte der Mensch sich einfügen. Sobald wir alle unsere Systeme auf dem Recyclinggedanken aufgebaut haben, werden wir uns über menschengemachtes CO₂ nicht mehr den Kopf zerbrechen müssen.
Wir werden nicht umhinkommen, das Prinzip der Nachhaltigkeit ernst zu nehmen: „So viel wie nötig und so wenig wie möglich.“ (rmk)