Ist Geschäftserfolg strategisch planbar?
Dieser Artikel wurde in der Times of Malta (ToM) sowie in der SWZ - (Südtiroler Wirtschaftszeitung) veröffentlicht.Der Link zum Artikel in der "ToM" bzw. "SWZ", die PDF/Printausgabe ist jeweils hier und hier zu finden.
Die Herausforderungen mit Strategien
Unternehmen investieren – zusätzlich zu internen Anstrengungen - jährlich 30 Milliarden Euro in Strategieberatung. Wo stehen wir im Moment? Was möchten wir erreichen? Wie kommen wir dorthin? Mittels Analyse dieser Kernfragen werden Pläne erstellt, die langfristige Unternehmensziele trotz unsicherer Bedingungen erreichbar machen sollen. Dabei versuchen die Strategen, möglichst alle Faktoren von vornherein einzukalkulieren.
Zahlreiche Studien belegen jedoch, dass 50 bis 90 Prozent aller strategischen Initiativen scheitern oder nicht umgesetzt werden. Bereits in den späten 70er Jahren stellten die israelischen kognitiven Psychologen, der Nobelpreisträger Daniel Kahneman und Amos Tversky langfristige Planungsprozesse fundiert in Frage. In ihrer Theorie des Planungsfehlschlusses – einem Grundstein der heutigen Verhaltensökonomie – gelangen die Wissenschaftler zur Erkenntnis, dass Menschen und Organisationen generell die Tendenz, Zeit, Kosten und Risiken von künftigen Handlungen unterschätzen und die Vorteile überschätzen. Sie belegten die Schwäche rationaler Planungsmodelle.
Der US-Finanzökonom Robert Bruner analysierte jahrzehntelang Unternehmensfusionen, die naturgemäß stets Gegenstand ausgebuffter Geschäftsplanungen waren. Auch er kam – die Erkenntnisse des Harvard-Ökonomen Albert Hirschman bestätigend – zum Schluss, dass etwa 80 Prozent der strategischen Pläne ihre Ziele nicht erreichten. So erfüllten Firmenübernahmen den geplanten Erfolg meist nicht. Dies trifft auch auf die tatsächliche Wirksamkeit hochwertiger Unternehmensplanungen anderer Bereiche zu.
Für den überwiegenden Misserfolg der traditionellen Strategieplanung werden vielerlei weitere Ursachen ins Feld geführt: unklare Visionen, organisationale Trägheit, unterschätzte Umfeld-Dynamik, schlampige Analysen, zu wenig Management-Disziplin, usw. Sie alle mögen mehr oder weniger zutreffen, nüchtern betrachtet jedoch liegen die Hauptursachen in einer Menge entscheidender Denkfehler.
Der Markt ist nur ein Konstrukt
So ist schon der Markt an sich nur eine konstruierte Größe, ein Konstrukt, gleich dem Begriff der Intelligenz. Die Intelligenz an sich gibt es nicht. Es existiert immer nur eine spezifische Intelligenz, wie beispielsweise eine praktische, mathematische, sprachliche, räumliche, ästhetische oder theoretische Intelligenz. Man weiß nicht wirklich, ob jemand, von dem man sagt, er sei intelligent, in all diesen Bereichen überdurchschnittliche Leistungen bringt. Jemand kann lebenspraktisch sehr intelligent sein, aber in Mathematik die totale Niete.
So gibt es auch den Markt an sich nicht. Der Markt ist etwas, das schlussendlich niemand wirklich versteht. Markt- und Zukunftsforschung bedienen unser Bedürfnis nach Beratung, Kontrolle und Sicherheit, sie wissen es aber auch nicht wirklich besser (siehe meinen Artikel „Wer kennt schon die Zukunft?“). Der Markt ist das weiße Einhorn, das Tier, das jeder zu kennen glaubt und das doch nie gesehen wurde. Er ist ein Chamäleon, das sich ständig ändert, völlig unberechenbar. Morgen, wenn du aufwachst, ist er schon wieder ein anderer. Seine einzige konstante Größe sind wir Menschen.
Genau deshalb ist schon die Idee unsinnig, Erfolg sei irgendwie logisch ableit- oder gar mit so manchem Kunststück planbar. Er folgt keiner mathematischen Gleichung. Wie viel Wachstum, Geschäft, Profit, Marktdominanz usw. ein Unternehmen in fünf oder zehn Jahren erlangen wird, lässt sich nicht mit Parametern wie Input, Finanzierung und Produkt berechnen. Und zwar deswegen nicht, weil der Markt eine freie Masse ist, die ständig hin und her schwankt wie Wackelpudding. Er verhält sich nicht kongruent und erklärbar, weil seine einzige Konstante eben Menschen sind, und keine Marionetten.
Erfolg funktioniert nach anderen Gesetzen. Grundsätzlich muss die Strategie zum Produkt bzw. zur Dienstleistung passen und schlicht und einfach dem gesunden Menschenverstand folgen. Das ist vielleicht das beste Erfolgsrezept, sowohl für Einzelunternehmen, Start-Ups als auch für KMU. Was will ich machen? Wie viel Aufwand erfordert meine Unternehmung? Wem nützt das? Gibt es überhaupt eine Nachfrage dafür oder bin ich imstande, eine solche zu erwecken? Falls ja, kann ich zu einem vernünftigen Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten und dabei noch Geld verdienen? Oder ist das was ich da mache Firlefanz, völlig unnütz, überflüssig und noch dazu schlecht und teuer? Gibt es schon andere Anbieter in dem Segment, dann muss mein Angebot in irgendeiner Hinsicht attraktiver oder ergänzend sein. Es kann getrost teurer sein, sofern es exklusiver, individualisierter, besser oder sinnvoll erweitert ist.
Das sind die Kernfragen. Seit tausenden von Jahren haben sie sich nicht geändert. Schon bei der Erfindung von Fass und Rad galt derselbe Fragekanon. Mehr braucht man nicht zu klären.
Menschenkenntnis ist das Um und Auf
Aber das Wichtigste überhaupt ist die Menschenkenntnis! Sie ist es, die einem verstehen hilft, welches menschliche Bedürfnis letztlich mit einem Produkt bedient wird. Wie ticken Menschen? Was wollen sie? Wie sind sie? Was machen sie? Was schätzen sie? Was mögen sie nicht? Was wollen sie umgehen?
Diese Reflektionen darf ein Unternehmer – ein Chef – nicht delegieren. Er kann seine Überlegungen vielmehr einfach selbst in seinem Umfeld, bei Freunden, Bekannten, Kollegen und potenziellen Kunden testen. Dann möge er das Bedürfnis, welches er mittels seines Produktes zu befriedigen glaubt, aufspannen wie einen Fächer. Nun zeigt sich, ob er davon den Kern, das gesamte Spektrum oder nur ganz bestimmte Randbereiche bedienen kann. Dabei muss man unbedingt realistisch bleiben. Es hilft nichts, sich zurecht zu träumen, wie Menschen oder die Welt sein sollten: rationaler, ökologischer oder großzügiger. Es gilt auf real existierende Bedürfnisse und Gegebenheiten einzugehen. Und wenn meine unternehmerischen Aktivitäten die Welt und Zukunft noch ein Stückchen besser, ein bisschen glücklicher, gesünder oder angenehmer machen, dann ist das ein schöner Nebeneffekt. Auch ist es nicht ratsam, mit Produkten, Dienstleistungen oder in Handelsplätzen anzufangen, von denen man nichts versteht. Das schöne Sprichwort „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ gilt hier als wertvolle Orientierung und soll nicht begrenzen, sondern absichern. Erst später wage man sich schrittweise in das Abenteuer des Fremden vor.
Keine Nachfrage ohne Bedürfnis
Es gilt außerdem zu bedenken, dass noch nie ein Produkt Erfolg hatte, das sich erst einen Markt schaffen musste wo vorher kein Bedürfnis war. Auch wenn manche meinen, dies sei beim Handymarkt gelungen. Ja, früher gab es keine Handys, stimmt. Trotzdem sind sie nur eine Weiterentwicklung des Telefons und bedienen nach wie vor das uralte Bedürfnis nach Kommunikation auch über Distanzen hinweg. Früher erfolgte dies per Brief, Postkutsche oder Brieftaube, später dann mittels Telegramm und nun eben per Telefon, Fax, SMS oder Email. Daran sieht man, dass der Handymarkt nur eine technische Weiterentwicklung eines Marktes war, den es schon immer gegeben hatte. Nicht umsonst sagte Steve Jobs 2007 bei der Erstvorstellung des iPhones: „Apple is going to reinvent the phone“ - also „Apple hat das Telefon nochmals neu erfunden“ und eben nicht an sich erfunden.
Ein weiterer Denkfehler ist die Annahme, ein nach standardisierten Managementtheorien entwickeltes Strategiekonzept – gemäß dem Ansatz „one size fits most“ – wäre das Nonplusultra. Ob ich nun weltweit Tempotaschentücher für alle Altersgruppen und Nasentypen oder in einem Nischenmarkt Dressursättel mit langen Pauschen verkaufen will, sollte einen wesentlichen Unterschied machen.
Gerade für Einzelfirmen und KMU gilt, nicht auf alle sogenannten Experten zu hören, sich nicht verrückt machen zu lassen. Man muss sich nicht ständig verändern und sich allen Breiten anpassen. Im Gegenteil! Stur und stoisch wie ein Esel sollte der Unternehmer seine zuvor mit Hausverstand und Menschenkenntnis wohlüberlegte Haltung – oder nennen wir sie Strategie – vertreten. Davon sollte er nicht abweichen bis irgendwann der Punkt kommt, an dem der Durchbruch gelingt.
Open Strategy
Für größere bzw. international agierende Unternehmen ist es natürlich weitaus komplexer, denn es gibt keine universelle Menschenkenntnis für alle Völker, Länder und Kulturen. Es bietet sich hier besonders ein neuer, schon in der Praxis bewährter Leitfaden für den Aufbau von Strategien an, z. B. gemäß dem Buch „Open Strategy“ (www.openstrategy.info). Das im Oktober 2021 erschienene Werk etablierte sich binnen weniger Wochen zum Weltbestseller für Strategiebücher. Es wurde sogar zum besten Strategiebuch 2021 gekürt, weitere Auszeichnungen und Top-Rankings folgten in den nächsten Jahren. Die Autoren, allesamt brilliante Strategieexperten und Universitätsprofessoren, mein geschätzter Freund Dr. Kurt Matzler und seine Kollegen Dr. Julia Hautz, Dr. Christian Stadler und Dr. Stephan Friedrich von den Eichen, wurden dafür sogar für den Thinkers50 Award - The Oscars of Management Thinking - nominiert.
„Open Strategy“ empfiehlt, den Strategieentwicklungsprozess zu öffnen, sprich Menschen innerhalb und außerhalb eines Unternehmens einzubeziehen. Auf diese Weise können Unternehmen die kollektive Weisheit vieler Menschen nutzen und die Strategie besser kommunizieren. In meinen Augen liegt der Clou darin, auf die so entscheidende Menschenkenntnis eines großen Pools an Leuten und ihrer Diversität zurückzugreifen. Studien untermauern, dass um 82 Prozent mehr gute Ideen und Entdeckungen gemacht werden, wenn Menschen aus verschiedenen Disziplinen und außerhalb des Führungsteams miteinbezogen werden: also Mitarbeiter von der Front, Experten, Lieferanten, Kunden, Unternehmern und sogar Konkurrenten. Denn um kognitive Verzerrungen zu vermeiden, sollten Sie über Ihre eigene Organisation hinausgehen.
Dennoch, die Chancen auf Erfolg steigen erst dann erheblich, wenn jeder im Team die „gute Strategie“, ihre Ziele und den Weg dorthin nicht nur kennt, sondern auch mitträgt, sich dafür begeistert, dies täglich visualisiert und lebt. Erst dadurch zieht man robusten Erfolg an!