Wer kennt schon die Zukunft?
Diesen Artikel hatte ich zuerst in Englisch in der Sunday Times of Malta (Titelseite von "classified") veröffentlicht. Die Printausgabe ist hier zu finden.
Kaum jemand kommt durchs Leben, ohne irgendwann mit der Frage konfrontiert zu werden: Wie wird die Zukunft aussehen? Schon in der Bibel, aber auch in allen großen klassischen Altertums-Religionen, Mythen, Märchen und Legenden und in der großen Weltliteratur gab es immer wieder Propheten und Menschen, die die Zukunft vorhersagen konnten oder behaupteten, dies zu können. In der heutigen Zeit greifen wir auf moderne Werkzeuge der Zukunftsforschung und ihrer Mathematik zurück, wie z. B. auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung, Statistik, Big Data Wissenschaft oder die künstliche Intelligenz (KI), um damit zu versuchen, die Zukunft zu prognostizieren.
Das Berühmt-Berüchtigte an diesen Prognosen und Prophezeiungen ist, dass sie eintreten können oder eben auch nicht. Es ist meist eine irrige Versuchung, sich der Zukunft rational zu nähern. Das klingt wissenschaftlich seriös, trotzdem geht dies häufig ziemlich schief.
Warum? Weil sich die Zukunft auch im Zeitalter des Quantencomputers weder extrapolieren noch irgendwie berechnen lässt, noch irgendjemand auch nur ansatzweise wirklich weiß, was die Zukunft bringt. Die Zukunft enthält viel zu viele Freiheitsparameter, zu viele Akteure sind beteiligt, und jeder hat seine eigenen Parameter, was zu einer unendlich großen Komplexität führt. Selbst eine kurzfristige Vorhersage für ein paar Monate ist schon schwierig und nicht verlässlich. Eine zuverlässige Vorhersage bzw. Prognose für länger, gar ein paar Jahre, ist schlichtweg eine Illusion. Deshalb stimmen langfristige Prognosen höchstens „zufällig" aber per se nie!
Die Zukunft ist offen und unendlich komplex. Sie wird beeinflusst durch den berühmten Flügelschlag des Schmetterlings, durch den freien Willen eines jeden Erdenbewohners, durch Naturgewalten wie das Wetter, Vulkane, Erdbeben, Viren, Asteroiden, ja sogar jedes Molekül und Atom, usw.
In der Chaostheorie ist der Schmetterlingseffekt ein Phänomen komplexer nichtlinearer Dynamik deterministischer Systeme. Er äußert sich darin, dass schon kleinste Veränderungen in den Ausgangsbedingungen dazu führen können, dass eine Vorhersagbarkeit hinsichtlich der weiteren Entwicklung eines komplexen Systems unmöglich ist.
Die gleichnamige Illustration dieses Schmetterlingseffekts stammt aus dem Vortrag des amerikanischen Mathematikers und Meteorologen Edward Lorenz, mit dem Titel „Predictability: Does the Flap of a Butterfly’s Wings in Brazil set off a Tornado in Texas?" (zu Deutsch: Vorhersagbarkeit: Löst der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas aus?), den er 1972 für die AAAS (American Association for the Advancement of Science) hielt. Die Analogie erinnert einerseits an den Schneeballeffekt, bei dem sich kleinere Auswirkungen durch eine Kettenreaktion bis zur eigentlichen Katastrophe verstärken und andererseits an die völlige Unvorhersehbarkeit langfristiger Auswirkungen.
Sir Isaac Newton (1643-1727) stellte bereits im 17. Jahrhundert fest, dass logisches Analysieren, Denken und Rechnen bei komplexen dynamischen Systemen, d. h. bei Dingen, die sich im Laufe der Zeit ständig verändern, nicht funktionieren, da man die Funktionsweise von etwas Lebendigem nicht allein durch die Ursache-Wirkungs-Logik erklären kann.
Dabei beschäftigen sich Statistiker schon seit Jahrzehnten mit der Kausalität und dennoch fehlt uns bis heute noch immer eine Mathematik für eine erste Stufe, nämlich die kausale Schlussfolgerung. Kausalität ist daher auch die nächste Grenze für KI und maschinelles Lernen (ML).
KI-Algorithmen und ML-Modelle sind im Moment zwar gut darin, Muster, Korrelationen und Assoziationen zu finden, aber sie können uns nicht Fragen beantworten, wie: „Hat das hier jenes da verursacht?" oder „Was würde passieren, wenn ich dieses oder jenes täte?"
Prognosen bzw. Vorhersagen der Zukunft ähneln im Ansatz etwas simpel veranschaulicht der komplexen Verästelung des indischen Thimmamma Marrimanu, dem größten lebenden Exemplar einer Baumkrone in der Welt (2,19 Hektar).
Es gibt unendlich viele Prognosemöglichkeiten, oft mit völligen Widersprüchen, je nachdem, aus welcher Perspektive (cui bono?) und wie weit man vorausschaut. Hinzu kommt, es kann so vieles gar nicht berücksichtigt werden, einfach weil wir heute noch nicht wissen, dass es existieren oder eintreten wird. Niemand hat die Zukunft im Griff, niemand kann in sie hineinsehen, auch nicht der Intelligenteste, denn die Zukunft ist noch gar nicht da, sie existiert in der Gegenwart nicht, sie kann daher keinen Einblick gewähren. Niemandem!
Trotzdem bleibt Zukunftsforschung ein gutes Geschäft, denn es scheint noch immer vorteilhafter, sich mit Theorien verschiedener Tendenzen und Zukunftsszenarien - unter allen Vorbehalten - auseinanderzusetzen, als den Kopf in den Sand zu stecken.
Zukunftsforschung deckt das Bedürfnis der Menschen nach Kontrolle ab. Viele Menschen wollen Kontrolle haben - denn was man vermeintlich weiß, scheint besser kontrollierbar zu sein, gleichgültig, ob es Grund zur Freude oder Angst gibt, denn dann ist dies wenigsten mit einer Emotion belegbar. Zu vielen Menschen fehlt die Stärke und das Gottvertrauen, um mit stets positiver Einstellung, das Beste erhoffend, die Zukunft einfach auf sich zukommen zu lassen.
Daher ist es natürlich höchst verständlich, wenn es uns Menschen nach Orientierung über mögliche Entwicklungen und deren Folgen in der Zukunft dürstet. Wir sollten aber nicht vergessen, dass wir ausschließlich und immer in der Gegenwart leben, nur sie gehört uns. Das Einzige, das die Zukunft jedenfalls beeinflusst, ist die Gegenwart.
Deshalb sollten wir stets die Gegenwart akzeptieren und sie prall erfüllen und intensiv leben, sodass die Zukunft zunächst blass wird wie die Vergangenheit. Die Zukunft ist höchst selten bunter als die Gegenwart! Alles andere ist ein Denkfehler. Wer die Gegenwart nicht lebt, weil sie die lächerliche, unbequeme, unbefriedigende Zwischenstufe zwischen Vergangenheit und Zukunft ist, erreicht nichts! So jemand lebt nicht lebendig, ist nur halb da, ist manipulierbar, lässt sich aus der Gegenwart entwurzeln und versucht verzweifelt, sich in die unerreichbare Zukunft zu verpflanzen.
Außerdem: In der Zukunft wächst nichts, dort ist noch alles theoretisch, tendenziös, virtuell, aber nicht real. Der Bauer lebt auch nicht von dem Feld, das er im nächsten Jahr bestellen wird, sondern von dem, welches er heute bestellt.
Das beste Rezept daher: Pflegen Sie Ihre Visionen und Träume, visualisieren und konzentrieren Sie sich konsequent auf Ihren Erfolg und beginnen Sie noch heute und jeden darauffolgenden Tag erneut, vertrauensvoll und unermüdlich mit dem Aufbau Ihrer Zukunft!