Resilienz: bereiten Sie sich auf schwierige Zeiten vor!
Dieser Artikel wurde zuerst in Englisch in der Sunday Times of Malta veröffentlicht). Online-Link "The hour of resilience - prepare for the worst" oder als PDF/Printausgabe hier zu finden
Die Umbrüche des jungen 21. Jahrhunderts werden Unternehmen und Unternehmer herausfordern, ihre Komfortzone zu verlassen – und widerstandsfähiger zu werden.
Wird die Welt immer zerbrechlicher?
Die einfache Antwort lautet: Nein. Denn die Welt war schon immer zerbrechlich. Wir haben in letzter Zeit unerwartete Ereignisse erlebt, die oft als „Schwarze Schwäne“ bezeichnet werden. Sie treten häufiger auf als gedacht und zeigen, wie anfällig unsere Systeme sind.
Die jüngsten globalen Krisen des noch jungen 21. Jahrhunderts, wie die Covid–Pandemie und der Krieg in der Ukraine, sind der Beginn einer Zeitenwende mit enormen Auswirkungen auf Jahre hinaus. Eine radikal andere Welt entsteht, die Regeln unserer globalen Wirtschaft werden neu geschrieben.
All dies macht uns bewusst, dass mit unserer Art der Risikobewertung etwas nicht stimmt. In unseren modernen Zeiten glauben viele, mit den fabelhaften Werkzeugen der Zukunftsforschung und ihrer Wahrscheinlichkeitsmathematik die Zukunft vorhersagen zu können. Aber Wahrscheinlichkeiten sind eben genau das – Wahrscheinlichkeiten. Sie können Wirklichkeit werden oder eben auch nicht. Wir glauben zu verstehen, was in der Welt vor sich geht. Aber wir ignorieren die Komplexität der Dynamik des Lebens, den freien Willen eines jeden und den Zufall. Wir verstehen die Welt eben nicht! Wir schätzen Fakten zu hoch ein und lassen uns von „Experten“ leiten. Nicht einmal die Schlusskurse der Aktienmärkte am selben Tag - und schon gar nicht Krisen oder Wirtschaftszyklen - sind vorhersehbar.
Die vermeintlich vertraute Welt gibt es nicht. Viele der langjährig kontinuierlichen Trends, die den Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik in den letzten Jahrzehnten das Leben so scheinbar angenehm berechenbar machten, sind jedenfalls zerbrochen. Wir stehen vor der tiefgreifendsten wirtschaftlichen Anspannung seit dem Zweiten Weltkrieg.
Solche Herausforderungen wie der Klimawandel, die Anschläge von 9/11, die Finanzkrise von 2008, disruptive Technologien, Unterbrechungen der Lieferketten, die Periode der Negativzinsen und die hohe Inflation zeigen uns, dass wir nicht wissen, nicht wissen können, welche weiteren, möglicherweise sehr herausfordernden Prüfungen auf uns zukommen.
Sie lehren uns auch, dass es uns teuer zu stehen kommt, wenn wir wirtschaftliche Interessen über die der Menschenrechte, der Nachhaltigkeit und der wehrhaften Demokratie stellen. Erst recht, wenn wir uns in erster Linie auf die Götzen wie „Geiz ist geil“ sowie billige Ressourcen und Produktion aufgrund kurzfristiger Gewinnmaximierung und Wachstum fokussieren.
Anstatt Resilienz an die Spitze unserer Strategien für unsere Wirtschaft, Unternehmen und die Umwelt zu stellen und mit verlässlichen Quellen und Märkten zu arbeiten, haben wir uns durch Naivität und Gier in hohe, vermeidbare Abhängigkeiten von unzuverlässigen und unberechenbaren Autokratien manövriert, die unsere hart erarbeiteten Werte nicht teilen, zudem vor knallharter Erpressung nicht zurückschrecken.
Dabei geht es nicht nur um Öl und Gas. Wir sind längst abhängig vom Import weiterer wichtiger Rohstoffe und haben sogar die Entwicklung und Herstellung unzähliger kritischer Komponenten, Hightech-Produkte aber auch viele Massenproduktionen völlig aus der Hand gegeben. Außerdem gibt es keine große, übergeordnete Strategie, ebenso wenig derlei Notfallpläne.
Die Folgen des Erwachens aus dem Abhängigkeitsschock werden eine Deglobalisierung und auf längere Sicht auch weniger Wohlstand sein. Die Korrekturmaßnahmen werden Unsummen verschlucken und daher die hohe Inflationsrate, welche sich schon durch die auf Hochtouren laufenden Gelddruckmaschinen der EZB infolge der Finanzkrise 2008 längst ankündigte, wahrscheinlich noch viele Jahre auf hohem Niveau halten.
Resilienz und Antifragilität
Die Frage der Resilienz wird somit für die Wirtschaft und Unternehmen von großer Bedeutung sein. Daher sollten sich Unternehmer und Manager gleichermaßen damit befassen, um den Erfolg zu sichern.
Resilienz ist die Fähigkeit, nach einem einschneidenden, dramatischen, ja erschütternden Ereignis oder Erlebnis, einer schweren Krise, einem Trauma, den Kopf wieder aus dem Schlamassel zu ziehen, sich zu fangen, um wieder auf die Beine zu kommen und zu einem gesünderen, heileren, besseren oder angenehmeren Zustand, zu mehr Zufriedenheit und Wohlbefinden zurückzukehren. Es geht also um die Erholungsfähigkeit, die Regenerationsfähigkeit oder die Selbstheilungskraft, wie in der Medizin sowie Psychologie.
Der nicht resiliente Mensch bleibt hingegen zum Beispiel gebrochen oder kaputt oder gestört oder zerstört zurück oder bleibt in der ewigen Opferrolle oder bleibt in der Dauer-Wut und im Revanche-Modus. Er kehrt also nicht mehr zu einem Zustand der Zufriedenheit und des Wohlbefindens zurück.
Neben Unternehmern und Managern gilt dies im weitesten Sinne auch für die Resilienz von Firmen und Wirtschaftssystemen: Welche Strukturen und Strategien gibt es im Unternehmen oder einem Staat, die dafür sorgen, dass Rückschläge, Fehl- oder Niederschläge irgendwelcher Art oder Krisen oder gravierende Abschwünge überstanden werden können, ohne dass sie die Existenz des Unternehmens oder Staates gefährden oder gar zerstören?
Es stellt sich zudem die Frage: Reichen unternehmerische und organisatorische Resilienz – also Widerstandsfähigkeit gegen existenzbedrohende Einflüsse und Ereignisse – aus? Oder sollten wir, um dem vorzubeugen, über Resilienz hinausgehen und zur Antifragilität übergehen, wie es der bekannte libanesisch-amerikanische Philosoph, Mathematiker und Zukunftsforscher, Nassim Nicholas Taleb in seinen Weltbestsellern „The Black Swan“ und „Antifragile“ vorschlägt?
Worin besteht der Unterschied? Wir kennen den Begriff „fragil“ („zerbrechlich“) als Etikettierung auf Paketen, wenn zerbrechliche Dinge transportiert werden sollen. Was jedoch ist das Gegenteil von zerbrechlich? Robust, würde man meinen, denn ein robustes Paket übersteht einen Transport unbeschadet. Das ist aber nicht das genaue Gegenteil von „zerbrechlich“. Das Gegenteil wäre eine Verpackung mit dem Aufdruck: „Bitte unvorsichtig behandeln!“. Mit anderen Worten: ein Frachtgut, dass nicht nur die Erschütterungen und Stöße aushält, sondern davon sogar profitiert.
Alles, was von Disruption, Zufallsereignissen oder Erschütterungen mehr profitiert als leidet, ist antifragil und umgekehrt. Erstaunlicherweise ist die Evolution antifragil. Ständige Störungen haben dazu geführt, dass die biologischen Arten sich anpassten, immer besser wurden – oder ausstarben. Antifragile Systeme können mit Fehlern und Irrtümern umgehen; viele kleine Störungen erhöhen sogar die Stabilität des Systems.
So sind Kleinst- und Kleinunternehmer wie Taxifahrer, Handwerker oder Einzelhändler antifragiler als Arbeitnehmer: Ihre Berufe sind viel robuster, da ihr Einkommen Schwankungen und Geschäftsunterbrechungen unterworfen ist. Sie sind es gewohnt, ihre Geschäftsmodelle ständig anzupassen und zu verbessern. Sie haben gelernt mit Ungewissheit zu leben und kennen ihre Risiken, während diese den Arbeitnehmern weitgehend verborgen bleiben. Sobald man Resilienz beherrscht, kann man die nächste Stufe erreichen, die Antifragilität. Ich würde zum Beispiel Steve Jobs als antifragilen Unternehmer einstufen, bei Elon Musk bin ich mir da nicht mehr so sicher.
Wenn wir numerische Prognosen haben, neigen die Menschen dazu, ihre Risikobereitschaft drastisch zu erhöhen, selbst wenn sie wissen, dass die Zahlen zufällige sind. Systeme, die auf der unrealistischen Annahme beruhen, dass man Wahrscheinlichkeiten genau berechnen kann, neigen dazu, mehr Risiken einzugehen und nehmen dabei in Kauf, sich sehenden Auges in eine Katastrophe zu manövrieren. Unsere Welt wird also anfälliger, gerade weil wir glauben, die Dinge unter Kontrolle zu haben. Wir wiegen uns in einem falschen Gefühl der Sicherheit und versäumen es, uns auf das Schlimmste vorzubereiten.
Risikoforscher haben herausgefunden, dass einfache Faustregeln besser funktionieren als komplizierte Verfahren. Dies ist ein Weckruf, unseren gesunden Menschenverstand zu benutzen. Denn in der Regel kann man sich nie so sehr verschätzen wie verrechnen. Heuristiken, die auf Erfahrungswissen beruhen, liefern erstaunlich gute Ergebnisse, gerade weil sie intellektuell bescheidener sind. Sie sind leichter zu verstehen und anzuwenden und haben einen weiteren unschätzbaren Vorteil gegenüber modernen Prognosemethoden: Die Pragmatiker wissen eben, dass sie für die Entscheidungsfindung zwar geeignet, aber nicht perfekt sind.
Eine weitere Strategie der Antifragilität ist die „Via Negativa“: Es ist einfacher zu wissen, was falsch ist, als herauszufinden, was richtig ist. Eine einzige kleine Beobachtung kann eine Behauptung widerlegen (Falsifikation), aber umgekehrt können Millionen von Beobachtungen eine Behauptung nicht mit absoluter Gewissheit bestätigen bzw. beweisen. Negatives Wissen ist daher robuster.
Was lehrt uns das also? Wenn Sie kein Glücksspieler sind, aber dennoch sehr engagiert und unternehmungslustig, wenn Sie große Träume haben und positiv denken, ist es besser, mit kleinen Schritten und erträglichem Tempo voranzuschreiten, als mit großen Schritten und hohem Tempo. Asiaten beispielsweise bevorzugen kleine, aber schnelle Schritte, weil man so Fehlentwicklungen schneller erkennen und meist ohne zu großen Schaden korrigieren kann.
7 wichtige Empfehlung für Ihre Resilienzfähigkeit
Die Resilienzfähigkeit eines Unternehmens ist eine sehr individuelle Sache, aber es gibt dennoch allgemeine Richtlinien, die man meiner Meinung nach befolgen kann:
Generell: Versuchen Sie nicht, die Zukunft vorherzusagen, sondern bereiten Sie sich auf eine breite Palette von Eventualitäten und Alternativen vor – auch auf unangenehme. Haben Sie immer einen Plan B! Bringen Sie sich nicht selbst in Bedrängnis. Maximieren Sie stattdessen Ihre Möglichkeiten.
Sodann sollte erstens ein Unternehmen grundsätzlich nicht nach dem Motto aufgebaut sein: „Wir machen alles so schnell wie möglich, so groß wie möglich, mit so viel Erfolg wie möglich, wir machen so viel Druck wie möglich, wir quetschen die Zitrone rücksichtslos und so schnell wie möglich aus.“ Stattdessen sollte man darüber nachdenken und das Ziel anstreben: „Wir können nicht nur erfolgreich sein, sondern wollen den Erfolg auch erhalten – einen robusten und nachhaltigen Erfolg!“
Zweitens: Denken Sie darüber nach, wie Sie mit einem sich ständig verändernden Markt umgehen, aber einen Markt, den Sie dabei trotzdem immer noch bedienen wollen. Suchen Sie nach langfristig tauglichen Produkten für mehrere Branchen, Märkte oder Säulen und Netzwerke. Sodass, wenn das eine nicht funktioniert, das andere aber funktioniert. Wenn man sich von Anfang an nur auf ein Bein stellt und dieses zusammenbricht, wird es furchtbar schwer mit der Resilienz und damit, überhaupt wieder auf die Beine zu kommen. Nicht umsonst hat ein stabiler Stuhl mindestens vier Beine.
Drittens: Ein weiterer entscheidender Punkt ist die gute und gesunde Mischung Ihres Teams, die Vielfalt und vor allem die langjährigen, loyalen Mitarbeiter. Die Jungen sind aufgefordert, in Maßen über Veränderungen nachzudenken, sie einzubringen und eventuell sogar umzusetzen, aber nur so, dass die Stabilität des Unternehmens nicht gefährdet wird, dank der Weisheit und Erfahrung der älteren Generation.
Viertens: Erfolg ist das eine, aber den Erfolg halten, aushalten, durchhalten ist das andere. Das eine braucht Motivation, Begeisterung, Ärmel hochkrempeln und anpacken, Mut, Wagemut und Aktivität. Das andere aber braucht vor allem Ernsthaftigkeit, Nachhaltigkeit, Disziplin, Ruhe, Vernunft, Geduld, Langfristigkeit und Menschen, die demütig agieren.
Fünftens braucht es eine Art Familienidee, um ein Unternehmen über lange Zeit zu führen, das muss nicht unbedingt auf einer Blutlinie basieren, das lässt sich auch mittels einer Art Wahlverwandtschaft bewerkstelligen.
Sechstens: Der Unternehmer oder Chef muss wissen, dass seine Mitarbeiter nicht nur Zahlen sind, sondern echte Menschen. Sie sind wertvolle Menschen! Jeder ist auf seine Weise unersetzlich. Und sie alle haben ein Leben außerhalb des Geschäfts und ihres Jobs. Sie alle sind das größte Kapital eines Unternehmens. Ein würdevoller, respektvoller Umgang mit ihnen und unserem Planeten, mit einer entsprechenden Geschäftspolitik und Führung, schafft Loyalität zum Unternehmen. Es muss zudem ein Weg etabliert werden, der die Nähe in den Hierarchien zwischen oben und unten, die Durchlässigkeit gewährleistet. Je größer die Bindung, desto widerstandsfähiger, resilienter wird das Unternehmen.
Siebtens: Was braucht ein Unternehmen, wenn es 50 oder 100 Jahre überdauern soll? Erstens braucht es mehrere Produkte, die lange halten, denn ein Unternehmen kann natürlich nur dann über Generationen hinweg überleben, wenn es Produkte oder Dienstleistungen anbietet, die an die Nachfrage und den Zeitgeist angepasst sind. Die heutige Spezialisierung ist dafür nicht geeignet. Es ist immer sinnvoll, ein Unternehmen zu verbreitern, nachhaltige Trends (keine Hypes) zu beobachten, zu übernehmen, eventuell andere Unternehmen aufzukaufen oder zu integrieren. Operieren Sie zudem in mehreren Märkten und Ländern und auch dort in einer Parallelität, nämlich mit einer Billigproduktesparte und gleichzeitig einer Premiumsparte. Bieten Sie ihre Produkte im Online-Shop für den Endverbraucher an und offerieren Sie diese zudem an Großverbraucher zu anderen Preisen. Dann stehen die Chancen gut, dass zumindest ein Standbein davon wahrscheinlich 100 Jahre überdauern wird.