Soziale Medien (SoMe) sind ein wichtiger Teil unseres Lebens geworden. Sie verbinden uns mit Freunden und Familie, informieren und unterhalten uns. SoMe bergen aber auch große Gefahren.
Bei der Anhörung der Chefs der großen Social-Media-Plattformen in den USA Ende Januar 2024 gingen die Wogen hoch. Senatoren und Topmanager von Meta (Facebook, Instagram), TikTok, X (Twitter), Snap und Discord diskutierten hitzig über die Gefahren, welche die SoMe-Dienste für Kinder und Jugendliche bergen.
Zu viele irreführenden Nachrichten in den SoMe-Plattformen
Die Menge an Daten, die tagtäglich auf Social Media veröffentlicht werden, ist enorm. Laut einer Studie von Statista wurden im Jahr 2022 weltweit täglich 68,7 Milliarden Social-Media-Posts veröffentlicht. Davon waren 53,6 Milliarden Textposts, 13,4 Milliarden Fotos und 1,7 Milliarden Videos. 2023 dürften es täglich 72,1 Milliarden Social-Media-Posts gewesen sein.
Die durchschnittliche Person verbringt 2 Stunden und 28 Minuten täglich in den sozialen Medien. Eine Studie des Pew Research Center aus dem Jahr 2023 ergab, dass in den vergangenen 30 Tagen 84 % der Social-Media-Nutzer politische Inhalte und 66 % Fake News gesehen haben.
Laut Schätzungen wird davon ausgegangen, dass jeder Nutzer tagtäglich durchschnittlich 100 Posts sieht. Und von denen, die Nachrichtencharakter haben, sind inzwischen schätzungsweise rund 50 Prozent Fake News oder Propaganda, also manipulative Falschinformationen. Der Anteil an verifizierten Posts mit Inhalten aus seriösen Medienquellen, bei denen man sich auf einen Faktencheck verlassen kann, ist als äußerst gering einzustufen, da die Menge an nutzergenerierten SoMe-Inhalten extrem hoch ist.
Algorithmen und der Filterblasen-Effekt
Hinzu kommt der Filterblasen-Effekt: Denn auch Social Media leben davon, dass der Köder dem Fisch schmecken muss. Nur so kann der Nutzer bei der Stange gehalten werden. Dafür sorgen die ausgeklügelten, meist KI-gestützten Algorithmen der jeweiligen SoMe-Plattformen. Diese lernen durch das eigene Posten, Liken, Teilen, Kommentieren von Beiträgen rasend schnell, worauf der Nutzer „anspringt“, was er oder sie gerne kommuniziert oder lesen, sehen, hören möchte, was ihn oder sie emotional bewegt.
Von 2008 bis 2014 entwickelte der Stanford-Professor Michał Kosiński, einer der führenden Spezialisten auf dem Gebiet der Psychometrie, einen Algorithmus für Facebook-Posts, der mit nur 70 Likes den Nutzer besser einschätzen konnte als seine Freunde. Mit 150 Likes besser als die Eltern, mit 300 Likes besser als der Lebenspartner und mit nur 350 Likes sogar besser als sich selbst.
Und genau so kommt die rein subjektive Auswahl von durchschnittlich 100 Beiträgen pro Tag zustande, die dem Nutzer aus den insgesamt über 72 Milliarden veröffentlichten Beiträgen angezeigt werden. Das sind gerade einmal 0,0000000014 % aus dem Meer aller täglichen SoMe-Posts. Bildlich gesprochen wäre das so, als würde man von einem Quadratkilometer Wüste nur 1 Sandkorn in der Hand halten.
Objektives Weltbild?
Ist das ein objektives Bild der Wirklichkeit, der Welt? Sind das fundierte, verifizierte Informationen? Mit Sicherheit nicht! Und das in einer Zeit, in der Maß und Mitte, Verlässlichkeit und Sicherheit verloren zu gehen scheinen und fundierte, objektive Informationen umso wichtiger sind. Und doch lassen sich Heerscharen von Nutzern davon lenken, meinungs- und urteilsbildend beeinflussen, zumindest teilweise einer Gehirnwäsche unterziehen.
Denn sie lesen, sehen und hören über SoMe immer nur das, was sie lesen, sehen und hören wollen, was gerade in ihr Weltbild passt, was zu ihren Grundannahmen über die Welt, die Menschen, die Politik, die Zeit passt. Darauf konzentrieren sie sich, das bewerten sie am stärksten, das zieht sie an, das fasziniert sie.
Darauf aufbauend werden ihre Annahmen und Sichtweisen immer wieder bestätigt und verstärkt, bis am Ende die Welt nur noch so zu sein scheint, wie sie es erwartet. So schaffen sie sich schließlich ihre Welt. Nur dreht sich diese Spirale fast ausschließlich in die negative, depressive Richtung, oft überladen mit Zukunftsängsten und Sorgen und führt zur Realitäts- und Verantwortungsflucht. Insofern blickt man mit Sorge auf die Macht der sozialen Medien.
Sind die sozialen Medien selbst das Problem?
Nein! Denn sie sind nur das nach außen verlagerte innere Problem der Menschen, die sich nicht die Mühe machen, sich fundiert zu informieren. Sie lassen sich lieber nach Belieben „füttern“.
So aber bleibt für all jene - neben den unbestrittenen Herausforderungen unserer turbulenten Zeit - das Glückende, das Gelingende, das Schöne, das Gute, die objektive Wirklichkeit auf der Strecke. Sie leben sozusagen im falschen Film, sehen sich eher als Opfer des Weltgeschehens, denn als aktive Gestalter des eigenen Lebens.
Das erinnert stark an das berühmte Sozialexperiment „The Third Wave“, das der Geschichtslehrer Ron Jones (* 1941) 1967 mit Schülern der Cubberley High School in Palo Alto im Silicon Valley durchführte und das 1981 und 2008 als „The Wave (Die Welle)“ verfilmt wurde. Jones wollte seinen Schülern während einer Projektwoche das Thema Autokratie näherbringen und sie erleben lassen, wie eine Diktatur entsteht. Durch die Manipulation von Informationen und Spielregeln gerät die Situation schnell außer Kontrolle. Die durch das Experiment ausgelöste Eigendynamik zwang ihn, das Experiment bereits am fünften Tag abzubrechen. „Die Welle ist erschreckend realistisch, zeitlos und brandaktuell“, hieß es in vielen Kritiken.
Bei allem „Realitätssinn“ – bleiben wir optimistisch!
Deshalb der Appell, sich selbst mehr Mühe zu geben und sein Umfeld immer wieder zu ermuntern, sich objektiv und vielfältig zu informieren. Es braucht immer wieder den Mut, auch der Hoffnung und der Zuversicht eine Chance zu geben, das Positive zu sehen und zu fördern. Bleiben wir bei allem „Realitätssinn“ vor allem eines: optimistisch! In einer so besonnenen Gemeinschaft wird sich das Positive letztlich immer als das Stärkere durchsetzen.