Zukunftsforschung ist Unsinn, weil unmöglich
Covid-19 hat uns einmal mehr verdeutlicht, was ich seit Jahren in meinen Vorträgen aufzeige, nämlich wie fehlbar Zukunftsforschung ist.
Diese ist ein Holzweg. Denn sie hat einen gravierenden Fehler: Sie ist nämlich nicht möglich. Zukunftsprognosen sind Unfug – egal ob erstellt durch aufwendige Analysen von Daten aus der Vergangenheit und Gegenwart (für die Zukunft gibt es ja keine), oder durch eine rosarote Brille oder auf Basis von Schwarzmalerei. Man sollte sich daher nicht davon verrückt machen lassen.
Schon die meisten Prognosen, die über ein Jahr hinausgehen, sollte man am besten einfach einstampfen, erst gar nicht lesen. Zu häufig sind sie das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen. Langfrist-Prognosen sind in jedem Fall Unsinn! Denn niemand weiß, was uns in 5, 10, 20, 30 oder 40 Jahren, geschweige denn in 100 widerfährt, was wir brauchen werden, was wir benutzen werden, entdecken, erforschen und erfinden werden. Langfrist-Prognosen aller Art haben nur eines gemeinsam: Sie stimmen nie!
Der Grund dafür ist simpel. Die Freiheit so vieler Milliarden von Menschen, der Natur, des Wetters, der Kontinente, Vulkane, Seuchen, Bakterien und Viren, der Planeten und Asteroiden, ist völlig offen und unendlich komplex.
Das Thema der Zukunftsforschung ist zwar spannend und hübsch, damit verdienen eine ganze Menge Menschen eine ganze Menge Geld, es wurde ein unglaublich großer, gewinnträchtiger Markt damit aufgetan. Zukunftsvorhersagen hatten immer schon Hochkonjunktur, nicht erst durch Nostradamus, sondern auch zu Lebzeiten von Jesus, als die Leute meinten, es wird nun so oder so kommen, aber es kam anders. Wie eben die alte Volksweisheit schon sagt: „Meistens kommt es anders, als man denkt“.
Zukunftsforschung deckt einfach nur ein Bedürfnis der Menschen nach Kontrolle ab. Viele Menschen wollen Kontrolle haben – denn etwas, das man vermeintlich kennt, erscheint uns besser kontrollierbar. Egal ob es daraus Grund zur Freude oder Angst gibt, denn dann ist die Zukunft wenigstens mit einer Emotion belegbar. Auch wählt jeder nach seinen Grundbedürfnissen „seinen“ bevorzugten Propheten aus, der ihm seine Zukunft mit seiner am besten stimmigen Grundemotion belegt – dies noch mit entsprechend passenden Daten untermauert und mit Ausführungen und Argumenten garniert, und der ihm so das Gefühl der Bestätigung gibt. Aber all dies sagt nicht mehr über die reale Zukunft aus als irgendwelche Kriminalromane oder Science-Fiction-Literatur.
Niemand hat die Zukunft im Griff. Niemand kann in sie hineinsehen, denn die Zukunft ist noch gar nicht da. Selbst wenn Zukunftsforscher erzählen, sie könnten sozusagen exponentiell in die Zukunft hineinsehen, dann kann man sie eigentlich nur fragen: Wie soll man in etwas hineinsehen können, das es noch nicht gibt? Niemand kennt die Zukunft! Es ist alle Entwicklung völlig offen, unerforscht- und unberechenbar.
Und das lassen Zukunftsforscher gerne unter den Tisch fallen – wenn sie wieder, wie meistens, falsch lagen nach dem Motto: „Ja, aber heute wissen wir, wie es nun geht.“ Was sie aber heute wissen, ist morgen auch schon wieder veraltet und überholt. Das ist für jeden Versuch einer Erforschung ein unbezwingbarer Teufelskreis, man kann von heute aus die Zukunft einfach nie einholen, deshalb heißt sie Zukunft.
Eines der unzähligen Musterbeispiele dafür stammt vom einflussreichen Club of Rome. Er warnte 1972 in seinem Bericht „The Limits to Growth“ mit vielen Zusammenbruch-Szenarien. Praktisch jeder Schadstoff, der zu der Zeit gemessen wurde, schien exponentiell anzusteigen. Der Club befürchtete in den 1970er und 1980er Jahren würde saurer Regen aus den Wäldern Europas chemische Wüsten machen. Wir würden die Ressourcen des Planeten innerhalb weniger Jahrzehnte erschöpfen, so zum Beispiel das Öl oder andere Rohstoffe wie Kohle. Kupfer würde innerhalb von 36 Jahren zur Neige gehen, besonders wenn alle Chinesen Telefonanschlüsse bekämen. Die gesamte Menschheit wäre bald mit selbst verursachten Hungersnöten konfrontiert. Und so weiter, und so weiter.
Doch schon bald hörte die Umweltverschmutzung nicht nur auf zu wachsen, sondern begann auch nachzulassen – und zwar drastisch, dies trotz Bevölkerungswachstum. Auch die Entwaldung in reichen Ländern wurde gestoppt. Die Waldfläche Europas wuchs von 1990 bis 2015 um mehr als 0,3 Prozent pro Jahr. Fazit: Auf den sauren Regen reagierte die Industrie mit Schwefelfiltern – doch ansonsten lag der so hoch angesehene Club of Rome in seinen Zukunftsprognosen in fast jedem Punkt falsch.
Wie Sir Isaac Newton schon im 17. Jahrhundert feststellte, funktioniert logisches Analysieren, Denken und Berechnen mit komplexen dynamischen Systemen, also Dingen, die sich im Laufe der Zeit ständig verändern, nicht. Ganz einfach deshalb, weil man das Funktionieren von etwas Lebendigem nicht alleine mit der Ursache-Wirkungs-Logik erklären kann.
Nun wäre ein gerade bezüglich Covid-19 ins Feld zu führendes Gegenargument, der inzwischen fast prophetisch anmutende Vortrag von Bill Gates im Rahmen seines TED Talks im Jahr 2015 über die potenziell drohende Gefahr einer Pandemie durch Viren. Natürlich wäre es besser gewesen, die Welt, die EU, die USA, usw., hätte sich diesem Gefahrenpotenzial viel früher vorbereitend gestellt. Eben gerade weil es in Asien schon die Jahre zuvor mehrfach zu solchen Infektionskrankheiten von enormem Ausmaß kam, ist dieses Versäumnis äußerst verwunderlich. Aber vergessen wir nicht, wenn man sich Prophezeiungen, ob düsterer, nüchterner oder optimistischer Art, selbst von hoch respektablen Leuten wie Bill Gates anhört, dass es für diese wenig riskant ist eine solche Einschätzung abzugeben. Denn wenn man recht hat, bekommt man viel Anerkennung und Applaus als Prophet, wenn man falsch lag, kräht später jedoch kaum ein Hahn danach.
So lag Bill Gates z. B. 1981 völlig falsch, als er beschwor: „Mehr als 640 Kilobyte Speicher werden Sie niemals benötigen.“ Aber damit ist er nicht alleine. Kurz vor dem Ende des 19. Jahrhunderts war sich der Kommissar des US-Patentamts, Charles Holland Duell, sicher: „Alles, was erfunden werden kann, wurde bereits erfunden“. Oder denken wir an Lord Kelvin, den britischen Physiker auf den Gebieten der Elektrizitätslehre und der Thermodynamik (die physikalische Einheit Kelvin wurde nach ihm benannt). Er war zur gleichen Zeit wie Duell überzeugt, dass „das Radio absolut keine Zukunft hat“.
Irren ist menschlich, denn die Zukunft ist nun einmal nicht einsehbar, nicht eindeutig vorhersehbar, nicht klar berechenbar. Wer fünf Experten befragt, erhält meistens fünf verschiedene Antworten. Freilich, so manches Hineinvisualisieren, das Anwenden von Vernunft und Logik in die Zukunft, hilft, weil dies Tendenzen und Trends aufzeigt, was uns ermöglicht, Szenarien durchzuspielen, verschiedene Pläne zu erstellen. Aber schlussendlich wird sich das Verhalten der Gegenwart dadurch auch nicht verändern. Es wird höchstens einen unnötigen Druck erzeugen und uns zu gewissen Dummheiten verleiten.
Das Verhalten von Menschen in der Gegenwart ändert sich eben nur dann, wenn sie in der Gegenwart einen Leidensdruck erfahren. Nur die wenigsten ändern prophylaktisch etwas. Und wenn sie das tun, und das ist das große Problem, ändern sie dabei etwas, das viel größere, neue Probleme schafft. Als Beispiele sei nur an das Palmöl gedacht, zu dessen Gewinnung immense Flächen an Regenwald rücksichtslos und unwiederbringlich gerodet werden. Oder denken wir an die Verpflichtung, 10 Prozent Rapsöl in Treibstoffe zu mischen, wodurch nicht nur wertvolle Anbauflächen verloren gehen, sondern auch die Verbrennungsmotoren Schaden erleiden.
Ein Grund dafür ist, wie auch beim Thema der modernen, hastigen Innovation selbst: All das wird vorher nicht ordentlich durchdacht und reflektiert, und die meisten von uns sind gar nicht dafür trainiert und in der Lage, die volle Tragweite der Komplexität zu erfassen.
Natürlich ist es höchst verständlich, wenn wir Menschen gerade in Zeiten von Krisen, Unsicherheit oder Bedrohungen nach Orientierung über die mögliche Entwicklung und ihre Folgen in der Zukunft dürsten. Dabei sollten wir jedoch trotzdem nicht vergessen, dass wir stets nur in der Gegenwart leben. Folglich sollten wir möglichst positiv gesinnt das Beste daraus machen. So wird das Bedürfnis, das Unmögliche zu erwarten – nämlich die Zukunft zu kennen –, überflüssig. Denn auch die Zukunft ist nicht bunter als die Gegenwart.
Wer die Gegenwart nicht lebt, weil sie das blöde, ungemütliche, unbefriedigende Zwischenstadium zwischen Vergangenheit und Zukunft ist, der bewirkt nichts! Der ist nicht lebendig, ist nur halb da, ist manipulierbar, lässt sich aus der Gegenwart entwurzeln und versucht nur verzweifelt, sich in die Zukunft zu verpflanzen, die aber selten so kommt wie gewünscht oder prognostiziert. Zudem: In der Zukunft wächst nichts, das ist alles nur virtuell, theoretisch, tendenziell, aber es ist nicht real. Auch der Bauer lebt nicht von dem Feld, das er nächstes Jahr bestellen wird, sondern er lebt von dem, dass er heute bestellt.
Zukunftsforschung ist ein hübsches Hobby, aber ohne größere Bedeutung. Es ist eine tolle Ablenkungsmethode. Stellen Sie sich idealerweise dabei immer die Schlüsselfrage des altrömischen Philosophen Cicero: „Cui bono?“ Also: Wem nützt es, wer profitiert dabei und davon? So finden sie oft rasch die Erklärung für die meist opportunistischen Zukunftsprognosen. Getreu dem Sprichwort:"Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen", das Niels Bohr zugeschrieben wird, häufig von Winston Churchill verwendet wurde, offenbar ein altes dänisches Bonmot ist.