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Der britische Sozialphilosoph Herbert Spencer prägte die Wendung „Survival of the Fittest“, welche später vom Naturforscher Charles Darwin in sein Werk »Die Entstehung der Arten« übernommen wurde. Oft wird betont, dass dieses Dogma nicht als Überleben des Stärksten oder Intelligentesten zu verstehen ist, sondern als das des Angepasstesten. Viele sind überzeugt, dass ohne Darwins Evolutionstheorie die heutige Biologie undenkbar wäre. Dennoch sollten wir nach über 150 Jahren Darwinismus erkennen: Es war fatal, ja vielleicht sogar katastrophal, ein Konzept der Evolutionsbiologie auf Bereiche der Wirtschaft, in Managementtheorien, in die Politik und sogar in das gesamte menschliche Leben zu übertragen.
Vieles in den Werken Darwins (1809–1882), in seinen Theorien über die Natur und die Evolution, galt als bahnbrechend. Doch als Rassist war er davon überzeugt, dass es beim Menschen minderwertige und höherwertige Rassen gebe. Frauen hielt er zur Fortpflanzung für unabdingbar, aber Intelligenz, Innovation und Kreativität schrieb er nur dem Mann zu. Der Mann würde in allem, was er beginnt, größere Höhen erreichen als die Frau.
Ein weiterer Trugschluss Darwins war, dass Organismen Eigenschaften, die sie im Laufe ihres Lebens erworben haben, vererben könnten oder Vererbung immer vertikal entlang der Abstammungslinie, also von einer Generation zur nächsten, verlaufe. Im Zeitalter der Genetik hat sich gezeigt, dass Darwins Vorstellung vom „Stammbaum des Lebens“ falsch ist. Die Evolution lässt sich nicht als Baum, sondern allenfalls als komplexes Netzwerk darstellen.
Konkurrenz belebt das Geschäft
In der Wirtschaft lautet eine Grundthese: „Konkurrenz belebt das Geschäft.“ In einem gesunden Rahmen ist dies zweifellos oft der Fall. Das heutige Verständnis von Wettbewerb folgt jedoch längst dem darwinistischen „Survival of the Fittest“. Es ist verhängnisvoll, dass Darwin in seinen Theorien den Krieg zum Dauerzustand in der Natur und damit zum Standardmodell erklärt hat. Diese Ansicht ist völlig falsch.
Was bedeutet die Darwin’sche Theorie für den Einzelnen? Demnach musst du The Fittest sein, denn nur dann überlebst du, nur dann setzt du dich durch. Die anderen hingegen schaffen es nicht, sie werden besiegt, verdrängt, vernichtet, verschwinden vom Markt, haben Pech gehabt. Es reicht nicht, engagiert und fit zu sein. Du musst »The Fittest, The Strongest, The Best von allen« sein, ganz oben an der Spitze der Pyramide stehen. Nur dann hast du im Leben eine Daseinsberechtigung. Demzufolge heiligt der Zweck alle Mittel im harten Überlebenskampf. – Diese Ansicht ist hochgefährlich, weil sie die Grundlagen des menschlichen Lebens, seiner Würde zerstört. Sie führt zu einem völlig falschen Machtverständnis des Menschen, zu ruinösem Verhalten.
Der Sieger bekommt am Ende alles
Auf die Spitze getrieben erfahren wir dies immer häufiger in der digitalisierten Wirtschaftswelt. Wir erleben, wie aggressive, geradezu kriegerische Disruptoren quasi aus dem Nichts auftauchen, in kürzester Zeit völlig neue Märkte dominieren oder ohne Branchenerfahrung mit radikalen Geschäftsmodellen alteingesessene Platzhirsche in den Ruin treiben. Die Attraktivität einer digitalen Plattform steigt mit der Zahl ihrer Nutzer. Ist eine signifikante Masse vorhanden, wird die Plattform durch den sogenannten Netzwerkeffekt der neoklassischen Ökonomie für die Nutzer immer attraktiver. Für potenzielle Wettbewerber bleibt dann kaum noch Raum, mit einem alternativen Angebot Fuß zu fassen. Selbst dann nicht, wenn sie technologisch besser, nutzerfreundlicher, sicherer oder anderweitig geeigneter und damit „fitter“ wären. So gipfelt Darwins „Survival of the Fittest“ immer öfter in einer gnadenlosen Marktkonzentration durch wenige global dominante Player, einem „The Winner takes it all“ – oft mächtiger als souveräne Staaten.
Rechtfertigung von brutalem Wettbewerb
Das Prinzip des „Survival of the Fittest“ wird unbegründeterweise als Rechtfertigung für die vorgebliche Natürlichkeit eines brutalen Wettbewerbs herangezogen. Dabei sprechen mindestens drei unumstößliche Realitäten absolut dagegen:
- Auf den ersten Blick mag die Natur stellenweise einem Kriegsschauplatz ähneln. Aber der genaue, der zweite Blick offenbart: Natur ist primär ein symbiotisches System! Denn alles ist mit allem verbunden, alles hängt mit allem zusammen: Jedes Tier, jede Pflanze, jeder Pilz beeinflusst auch alle anderen Arten und Gattungen. So konkurrieren Flora und Fauna nicht einfach um den Lebensraum. Im Gegenteil: Sie helfen und unterstützen einander, sorgen für Balance, ganz nach dem Prinzip „Gemeinsam sind wir stark“.
- Auch in der Natur gibt es Konkurrenzkämpfe. Das stärkere Männchen besiegt den Nebenbuhler. Es gibt ein Kräftemessen genauso wie Macht- und Revierkämpfe. Und ja, manchmal werden sie auch auf Leben und Tod ausgetragen. Aber es ist ein Spiel nach Regeln, bei dem „nur so viel Gewalt wie nötig und so wenig Gewalt wie möglich“ eingesetzt wird. Der dominante Hirsch jagt den unterlegenen nicht, bis er ihn erlegt hat. Er ist überlegen, das genügt ihm. Der Unterlegene akzeptiert das, zieht weiter, entwickelt sich woanders, weil es genügend Alternativen, Raum gibt. Damit ist die Sache erledigt, der Konflikt beendet. Nachtreten, Rache nehmen, den anderen rücksichtslos vernichten, das gibt es in der Natur nicht.
- Darwins Konzept widerspricht der menschlichen Wahrnehmung vollkommen. Wenn es stimmen würde, dann wäre Krieg als Normalzustand ein Wohlfühlfaktor. Aber niemand fühlt sich wohl im Krieg. Er wird nicht als stimmiger, natürlicher Zustand erlebt, sondern als Störung der Ordnung, als zerstörerisch, grausam und unmenschlich.
Darwins Wut auf Gott
Je mehr man sich mit dem Darwinismus beschäftigt, desto mehr fragt man sich, wie der hoch gebildete Charles Darwin dazu kommen konnte, seine Theorien mit so vielen Widersprüchen, Denkfehlern und Ungereimtheiten zu verfassen. Denn der Darwinismus ist nicht kohärent, es bedarf allerlei geistiger Klimmzüge und Verdrehungen, um an ihm festzuhalten.
Eine Antwort auf diese Kernfrage findet sich in seinem Lebenslauf. Mit seiner Frau Emma hatte Darwin zehn Kinder. Der große Schicksalsschlag ereignete sich 1851, als die zehnjährige Tochter Annie an Tuberkulose starb (nach ihr verlor die Familie weitere Kinder). Alle Gebete und Hoffnungen auf Heilung waren vergeblich. Darwin war am Boden zerstört und schrieb in seinen persönlichen Aufzeichnungen: „Wir haben die Freude am Haushalt und den Trost unseres Alters verloren.“ Annies Tod hat auch das Ende seines Glaubens an das Christentum eingeläutet.
Bis dahin hatte sich der studierte Theologe als frommer Christ verstanden, nicht als tiefgläubig, aber doch fest in der Theologie verwurzelt. Von da an haderte Darwin mit Gott, er konnte es ihm nicht verzeihen, dass er sein Lieblingskind nicht gerettet hatte. In der Folge war er besessen von der Idee, dass es für alles im Leben, im Universum, Erklärungen ohne Gott, ohne eine übergeordnete geistige Instanz geben müsse. Dies geht auch aus der Biografie Annies’ Box hervor, die 2009 unter dem Titel Creation verfilmt und von Darwins Ururenkel Randal Keynes (* 1948) anhand alter Aufzeichnungen verfasst wurde.
Um Darwins Ungereimtheiten zu durchschauen, muss man nicht an Gott glauben. Es genügt, sich die Frage nach einer Ordnung in den elementaren Gegebenheiten, im Universum zu stellen, wie es die Naturgesetze, die Physik oder das teleologische Argument der Uhrmacher-Analogie nach William Paley (1743–1805) lehren, das seit der Zeit der wissenschaftlichen Revolution auch von anderen Forschern, darunter Isaac Newton (1642–1726), vertreten wurde.
Der Darwinismus ist überholt
Darwins Theorien sind weder plausibel noch vollständig beweisbar. Die darwinistische Evolutionslehre hat keineswegs zu einem schlüssigen Welt- und Naturverständnis geführt. Das Gegenteil ist der Fall. Weder gilt Darwins Lehre für die Natur, noch taugt sie als allgemeines Motto für das Unternehmertum, die Wirtschaft.
Darwins Theorien sind gerade nicht die ultimative Wahrheit, obwohl uns das heute noch immer so verkauft wird. Sie gehören aus den Schulbüchern verbannt, so wie es die Türkei 2017 und Indien 2023 bereits getan haben.
Faszination Symbiose: Das Modell der Zukunft
Wir benötigen dringend ein neues Weltbild mit den Grundmotiven von „leben und leben lassen“, von „gemeinsam sind wir stark“. Ein Modell der Kooperation, der intelligenten Symbiose, mit der Notwendigkeit fairer Spielregeln im Wettbewerb. So wie es die Natur in Abermillionen Jahren der Evolution entwickelt hat und uns vorlebt.
Wir müssen weg vom The Fittest-Wahn. Weg von der Gier nach dem schnellen Geld, der hemmungslosen Gewinnmaximierung, die viele Kollateralschäden außer Acht lässt. Weg mit dem maßlosen Konkurrenzdenken, dem permanenten, exzessiven Bestreben, die Konkurrenten mit allen Mitteln auszustechen oder auszuschalten.
Heute geht es längst nicht mehr um den Sieg, sondern um Balance! Wir benötigen eine neue, post-darwinistische Unternehmens- und Wirtschaftskultur. Eine, die auf einem symbiotischen System basiert, auf nachhaltigem Erfolg, auf Weitsicht, Umsicht und Rücksichtnahme, auf einer Orientierung am Grundprinzip der Nachhaltigkeit: „so viel wie nötig und so wenig wie möglich“. Eine Kultur, die das Überleben möglichst Vieler, im Idealfall aller sichert. In den Mechanismen der japanischen Keiretsu (unternehmerische Verbundgruppen) finden sich dafür viele Anregungen.
Die wohl großartigste Tatsache in der Natur in Bezug auf Symbiose und Nachhaltigkeit ist, dass es nirgendwo auf unserem Planeten eine von ihr deklarierte Müllhalde gibt. In der Natur befindet sich alles in einem Kreislauf. Es gibt nichts, was nutzlos oder wertlos wäre, übrigbleibt. Alles wird wieder- oder weiterverwertet und verwendet.
Es gibt keinen anderen Weg als strengere Regeln
Das Krebsgeschwür des egoistischen „Survival of the Fittest“ führt die Welt nur in den Abgrund. Denn am Ende heißt es nur noch: „Der Sieg gehört dem Stärksten, dem Rücksichtslosesten.“
Die Dominanz des The Winner takes it all, des Shareholder-Value, führt letztlich zum Untergang unser aller Sicherheit, Freiheit und Wohlstand. Die Folgen sind (Wirtschafts-)Diktatur, Ausbeutung auf Kosten der Mehrheit, der Umwelt, und immenser Reichtum nur noch für die Kleptokratie oder Oligarchie, die oberen Zehntausend.
Edzard Reuter, von 1987 bis 1995 CEO von Daimler, brachte es 2023 in einem Interview mit brand eins auf den Punkt: „Es ist unerträglich, wenn Unternehmen nur Profitmaximierung verfolgen – ohne Rücksicht auf die Beschäftigten, die Umwelt, das Klima oder die Steuergerechtigkeit. [Es gibt] keinen anderen Weg als strengere Regeln von staatlicher Seite.“ (Schäfer / Scheytt 2023)
Schon der Begründer des modernen Managements, der US-amerikanische Ökonom Peter F. Drucker (1909–2005), wusste: „Keine unserer Institutionen existiert für sich selbst und ist ein Selbstzweck. Jede ist ein Organ der Gesellschaft und existiert um der Gesellschaft willen. Die Wirtschaft ist da keine Ausnahme. Freie Unternehmen lassen sich nicht damit rechtfertigen, dass sie gut für die Wirtschaft sind. Sie können nur damit gerechtfertigt werden, dass sie gut für die Gesellschaft sind.“ (Drucker 1974: 39; übers. a. d. Engl.)