Die nüchterne Wahrheit über Start-ups und ihren Erfolg
Junge Unternehmen schaffen neue Arbeitsplätze. Aber die große Mehrheit ist nur von kurzer Dauer. Dieser Artikel wurde zuerst in der The Sunday Times of Malta (cover page of „classified“) publiziert.
Unser Wohlstand, die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt hängen vom Unternehmertum ab
Innovative Unternehmen, die uns mit unzähligen Dienstleistungen und Produkten versorgen, sind die wichtigste treibende Kraft für Wachstum und generieren Wohlstand. Daher ist Unternehmertum für jede Demokratie von höchster Bedeutung. Deshalb brauchen wir ein angemessenes Verständnis dafür, Bildung und eine Kultur des Unternehmertums. Dies wird umso deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die durchschnittliche Lebensdauer eines Unternehmens seit langem ständig schrumpft.
In der EU liegen laut den „Regional Yearbooks“ von Eurostat die jährlichen Gründungs- und Sterberaten (birthrate, deathrate) von Unternehmen im Verhältnis zum Unternehmensbestand aktiver Unternehmen im Durchschnitt bei 8 bis 10 Prozent. Innerhalb der 167 gemeldeten Regionen variieren sie jedoch stark, nämlich von 4,8 % bis 19,2 % p. a. In den USA und in Asien ist es ähnlich. Die durchschnittliche Lebensdauer von Unternehmen in Demokratien ist also kurz, sie betragen nur noch 9 bis 10 Jahre.
Auch wenn der Vatikan sozusagen das älteste "Unternehmen" weltweit sein mag, so findet man, wenn man genau hinsieht, vereinzelt immer noch Unternehmen, der Existenz bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Seien es Konzerne, KMU und Familienunternehmen. Aber es gibt nur ganz wenige, die es auf 1.000 Jahre bringen. Viele dieser uralten, beeindruckenden Unternehmen sind irgendwann einmal oder gar mehrmals an der Insolvenz vorbeigeschrammt, haben aber immer den Turnaround geschafft. Eine McKinsey-Studie ergab, dass nur weniger als 2 Prozent aller Unternehmen das Alter von 100 Jahren erreichen, die Hälfte aller börsennotierten Unternehmen gar innerhalb eines Jahrzehnts verschwindet. Und nur jedes siebte Unternehmen erreicht das 30. Lebensjahr und nur jedes 20. schafft es bis zum 50-jährigen Jubiläum.
Studien über 25.000 Unternehmen durch das Santa Fe Institute (The Mortality of Companies) kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie die deutsche Universität Rostock: Ob man Bananen, Flugzeuge oder was auch immer verkauft, die Sterblichkeitsrate bleibt die gleiche. Ein Trend ist weltweit einheitlich, wie die meisten dieser Studien feststellen: Da sich die Kapital- und Innovationszyklen immer schneller bewegen, werden die Märkte immer transparenter und wettbewerbsfähiger, also schwieriger und herausfordernder, so dass die Lebensdauer der Unternehmen immer kürzer wird.
Aber es gibt noch einen weiteren alarmierenden gemeinsamen Nenner, den ich aus meiner 40-jährigen Erfahrung im Unternehmertum und in der Beratung kenne: die miserable Überlebensrate von neugegründeten Unternehmen, so auch von Start-ups. Das Problem ist, dass zwar sozusagen sehr viele Schildkröten schlüpfen, aber es letztlich viel zu wenige es ins Meer des dauerhaften Erfolgs schaffen.
Dabei ist bekannt, dass gerade junge Unternehmen mehr als 80 Prozent aller neuen Arbeitsplätze schaffen. Fast jedes fünfte neu gegründete Unternehmen in der EU scheiterte 2018 schon im ersten Jahr, und laut dem US-amerikanischen Bureau of Labour Statistics ist es dort dasselbe. Nach fünf Jahren sind rund 55 Prozent gescheitert und nach 10 Jahren sind nur noch 10 bis 20 Prozent existent. Und so ein Unternehmen die 15-Jahres-Marke überschritten hat, besteht nur noch eine 25-prozentige Chance, weiter zu überleben.
Für viele möglicherweise überraschend ist, dass ausgerechnet High-Tech-Gründungen, die rund 5 Prozent aller Unternehmensgründungen ausmachen und an denen der Narrativ des raschen und großen Erfolgs hängt, am schnellsten verglühen. Denn von ihnen verschwinden 80 Prozent in weniger als fünf Jahren. Das ist die mit Abstand höchste und schnellste Misserfolgsquote bei Unternehmensgründungen überhaupt. Dabei ist es dieses Segment, das den bei weitem größten Anteil an Investitionen von Risikokapitalfirmen erhält und auch noch die meiste mediale Berichterstattung. Hier stimmt also das vermeintliche Erfolgsmärchen dieser Art von Start-ups mit der Realität überhaupt nicht überein. Nicht Erfolg, sondern Scheitern ist hierbei die Norm!
Diese Entwicklungen sind auf einige grundlegende Probleme zurückzuführen, die in den letzten Jahrzehnten im Bereich des Unternehmertums entstanden sind. Andrew Yang, Botschafter für globales Unternehmertum des Weißen Hauses während der Obama-Regierung, brachte es in einem Forbes-Artikel seinerzeit auf den Punkt:
"Heute muss ich feststellen, dass die Ausbildung zum Unternehmertum, wie sie derzeit praktiziert wird, nicht funktioniert. Die Zahlen sind schlimm. Die Anzahl der Entrepreneurship-Kurse und -Programme an US-Colleges hat sich in den vergangenen 25 Jahren zwar vervierfacht. Aber gleichzeitig ist der Anteil der unter 30-Jährigen, die ein eigenes Unternehmen betreiben im gleichen Zeitraum um mehr als 60 % zurückgegangen. Je mehr wir also Entrepreneurship lehren, desto weniger junge Menschen gründen tatsächlich ein erfolgreiches Unternehmen. Das hat weitreichende negative Konsequenzen."
Ein weiteres bedeutendes Problem ist, dass es zunehmend in Mode gekommen ist, von anderen als Unternehmer, Founder oder Co-Founder bezeichnet zu werden. Oder man folgt als junger Gründer die Absicht, schnell reich und vielleicht auch noch berühmt zu werden, indem man einfach mal ein Start-up gründet, ohne jedoch das Verständnis, das Talent, die Erfahrung und eine solide Geschäftsidee dafür zu haben, vom Durchhaltevermögen, der eigenen Risikobereitschaft und Verantwortung ganz zu schweigen.
Wie Steve Jobs in seiner Biografie festhielt: "Ich kann es nicht ausstehen, wenn Leute sich selbst als ›Unternehmer‹ bezeichnen, wenn sie in Wirklichkeit nur versuchen, ein Start-up aufzubauen, um es dann zu verkaufen oder an die Börse zu bringen, um entsprechend abzukassieren, um daraufhin anderswo weiterzumachen. Sie sind nicht bereit, die Arbeit auf sich zu nehmen, die für den Aufbau einer echten Firma notwendig ist. Dies ist die schwerste Aufgabe, die es im Geschäftsleben gibt. Auf diese Weise trägt man wirklich etwas bei und fügt dem Vermächtnis derer, die vor einem da waren, etwas hinzu“.
Ein weiterer Hauptgrund ist, wie solide, quantitative Beweise längst zeigen, dass das vorherrschende Narrativ des unternehmerischen Erfolgs für Start-ups, nämlich einen Businessplan zu schreiben und einen Weg ins Gründerzentrum zu finden, um dort hilfreiche Unterstützung und Inspiration zu erhalten, nicht funktioniert. Ganz einfach, weil die meisten der Jedermann-Unternehmer, wie Sie und ich, völlig anders sind als die Handvoll der Ausnahme-Rockstars aus dem Silicon Valley, auch in einem anderen Umfeld agieren.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass Start-up-Mentoren ebenso schädlich wie hilfreich sein können. Hier gilt es sehr genau hinzuschauen und zu prüfen, bevor man sich auf jemanden einlässt.