Kritik? Die Dosis macht das Gift
Mein Artikel wurde auch in der Times of Malta (ToM) sowie in der SWZ - (Südtiroler Wirtschaftszeitung) veröffentlicht. Der Link zum Artikel in der "ToM" bzw. "SWZ", die PDF/Printausgabe ist jeweils hier und hier zu finden.
Kritik-Diät: Nehmen wir Abstand davon, stets das Schlechtestmögliche zu unterstellen und zu denken.
Noch nie gab es in der Geschichte der Menschheit so viele Informationen. Aber ein großer Teil unserer modernen Gesellschaft tut sich schwer, damit sinnvoll umzugehen. Denn das überzogene kritische Betrachten, das andauernde Kritisieren, hat längst überhandgenommen und macht viele blind für Objektivität.
Die meisten Menschen merken noch nicht einmal, dass sie dieser Beschäftigung, ständig alles zu kritisieren und die Dinge schlechtzureden, unbekümmert nachgehen. Manche halten ständige Kritik für einen Ausweis an Intelligenz und Aspekt des mündigen Bürgers einer modernen Demokratie.
Ein Überfluss an Information
Seit der Erfindung der Schrift vor über 5.000 Jahren (3400-3200 v. Chr.) hat die Menschheit ihr Wissen analog festgehalten. Die Digitalisierung und das Internet haben in einer beispiellosen Erfolgsgeschichte die Verkehrsdichte der Informationen in nur einem Vierteljahrhundert vermilliardenfacht, das Wissen vermillionenfacht.
Computer wurden schon vor Jahrzehnten erfunden. 1986 erschien der erste kommerziell erfolgreiche Laptop von IBM. Damals gab es weltweit nur ca. 0,02 Exabytes (20.000 Terabytes) an digitalen Informationen (Quelle: Prof. Martin Hilbert, USC und Prof. Priscila López, UOC). Am 6. August 1991 ging das Internet öffentlich ans Netz. Bereits 2002 erreichte das Volumen der digital gespeicherten, kommunizierten und verarbeiteten Informationen erstmals den Gleichstand mit jenen in analoger Form.
2007 wuchs der Anteil an Informationen in digitaler Form mit einem Volumen von 295 Exabytes (je 1018 Bytes) auf 94 %. Würde man all diese digitalen Informationen (Daten) auf das mittlerweile als schon antiquiert geltende Speichermedium CD-ROM mit je rd. 700 Megabytes (MB – je 106 Bytes) bei einer Stärke von 1,2 mm pro Disc archivieren, so würde dies einen Stapel in der Höhe von 1,4-mal der Distanz von der Erde bis zum Mond (384.400 km) ergeben.
2012 wurden 6,5 Zettabytes (ZB – je 1021 Bytes) an digitalen Daten generiert, das wären ca. 32 CD-ROM-Türme von der Erde bis zum Mond. 2025 werden es geschätzte 181 ZB (Quelle: Statista) sein, also fast 900 CD-ROM Säulen bis zum Mond. Oder anders ausgedrückt, entspräche diese Menge an Bits (1 Byte besteht aus 8 Bits) dem ca. 190.000-fachen der Menge an Sandkörnern auf unserem Planeten.
Aber das sind jeweils nur die jährlichen generierten Datenvolumina. Viele dieser Daten bleiben für lange Zeit gespeichert und im Zugriff, daher wächst die Größe des globalen Datenbestands ins Unermessliche. Längst sind über 99 % aller Informationen in der Welt digital, der Anteil in analoger Form, gemessen am Volumen, nicht an Bedeutung, ist inzwischen verschwindend gering.
Ein Ende der Fahnenstange der Entwicklung der Informationstechnologie ist nicht in Sicht. In voraussichtlich schon den nächsten Jahren wird der Quantencomputer die Konstellation von 300 vollständig verschränkten Qubits (Quanten-Bits) abbilden können (Quelle: Gartner Inc.). Dann liegt seine Mächtigkeit darin, parallel so viele Konstellationen annehmen und damit Informationen verarbeiten zu können, wie es Teilchen im Universum gibt. Aber das ist erst ein Anfang.
Schier unendliches Wissen
Heutzutage kommen wir im Handumdrehen an unendlich viel Wissen, und das geradezu mühelos. Wir können im Internet, im digitalen Raum, Wissen an jeder Ecke, zu jeder Tages- und Nachtzeit, in jeder möglichen und unmöglichen Lebenslage für uns rekrutieren. Derart verfügen wir gewissermaßen über das Wissen der Welt.
Aber es geht gar nicht darum, unserem Wissen noch mehr Wissen hinzuzufügen. Sondern, es geht um das wesentliche Wissen! Und erst recht, um fundiertes, korrektes Wissen, um Fakten.
Wir alle kennen das Sprichwort „Wissen ist Macht“. Aber diese Maxime hat sich durch die immense Fülle an für fast jedermann jederzeit zugänglichem Wissen quasi von selbst erledigt. Wissen ist also nicht mehr Macht, sondern Wissen wurde zum Allgemeingut und damit ein Baustein der großen Zeitenwende. Aber Wissen ist vor allem auch Verpflichtung. Etwas zu wissen, verpflichtet zu entsprechendem Verhalten. Informationen zu haben verpflichtet dazu, sie gründlich zu durchdenken. Wissen verpflichtet zu Achtsamkeit, zu noch mehr Recherche, zum Nachfragen, zum Hinschauen und Überprüfen, zum stimmigen Bewerten.
Wissen ist wunderbar, denn es ist besser zu wissen, als nicht zu wissen. Aber wenn man weiß, sollte man auch wissen, was man weiß, woher man es weiß, womit es sich verknüpft, wohin es einzuordnen ist und wie es mit anderem Wissen, den anderen Erkenntnissen anderer Denker, zusammenpasst.
Halbwissen und Manipulation
Deshalb ist oberflächliches Halbwissen anzuwenden, sich dabei selbst noch als jemandem mit kritischem Verstand darzustellen, Fakten nicht gelten zu lassen oder umzuinterpretieren, gar vorzugeben, die Zukunftsentwicklungen zu kennen, die naturgemäß niemand kennen kann, fahrlässig und gefährlich.
Zudem bleibt zu oft unbedacht, dass inzwischen viele Informationen im Netz, in elektronischen Medien, mit Vorsicht zu genießen sind, weil verfälscht oder missbräuchlich gestaltet. Das betrifft die schon fast allgegenwärtigen Fake News bis zu den bereits täuschend echt wirkenden Deepfakes. Letztere sind realistisch wirkende Medieninhalte wie Fotos, Videos und Audiobeiträge, welche mithilfe von künstlicher Intelligenz erzeugt und bewusst zur Propaganda, Täuschung, für Verschwörungstheorien oder missbräuchliche Geschäftszwecke eingesetzt werden.
Leider gehen viele Menschen diesen auf den Leim, weil sie sich nicht die Zeit nehmen oder die Mühe machen, um sich mit gesundem Menschenverstand und Faktencheck davon nicht beirren zu lassen. So ist bekannt, dass auf der bei der Generation Z (Geburtsjahrgänge 1996 bis 2012) so beliebten Plattform TikTok, rd. 20 % aller Videos falsche Informationen enthalten (Quelle: Prof. Arnold Smeulders, UvA). Ähnliches ist bei vielen anderen Plattformen und Social-Media-Kanälen der Fall.
Das orwellsche Computermodell
Die Beeinflussung und Manipulation von Anwendern digitaler Medien nahm ihren Lauf, als Facebook 2009 den Like-Button implementierte. Prof. Michał Kosinski von der Stanford University ist einer der führenden Spezialisten auf dem Gebiet der Psychometrie, welcher Menschen anhand der digitalen Spuren im Internet erforscht. Er hat 2013 im Rahmen einer Studie festgestellt, dass Facebook-Likes verwendet werden können, um eine Reihe hochsensibler, persönlicher Eigenschaften von Usern automatisch und ziemlich genau zu charakterisieren sowie deren Verhalten zu prognostizieren. Kosinskis Algorithmus konnte mit 95 % Genauigkeit ermitteln, von welcher Hautfarbe eine Person ist und zu 93 % welchen Geschlechts, zu 88 % welche sexuelle Orientierung und zu 85 % welche politische Gesinnung ein Mensch hat.
Mit einer weiteren Studie bewies Prof. Kosinski 2015, dass mit nur 10 Likes ein Computermodell den Benutzer grundsätzlich besser als sein Kollege kennt, mit 70 Likes, besser als ein Freund und mit 150 Likes, besser als ein Familienmitglied. Anhand von nur 300 Likes kennt Big Data den User sogar besser als dessen Ehepartner. (Quelle: CNN).
Mithilfe solcher Algorithmen wurden von der britischen Beratungsfirma Cambridge Analytica Wähler in mehreren demokratischen Ländern manipuliert, was im Jahr 2018 aufflog und in einem Skandal endete.
Inzwischen gibt es noch weit mächtigere solcher Technologien für alle möglichen Plattformen und Social-Media-Kanäle, mit denen knallhart abusive Interessen verfolgt werden.
Toxische Kritik
Diese gezielten Fehlinformationen, ergänzt mit dem Umstand, dass uns heute bei der Überfülle an Informationen, die im Sekundentakt auf uns einprasselt, pausenlose Kritik an allem als die normalste Sache der Welt erscheint, Hauptsache, man findet etwas zu kritisieren, man findet den Fehler, das Problem, das, was nicht gut läuft, wird so zu einer toxischen Mischung in unserem Leben. Das bringt unzählige Haarspalter, Pseudo-Propheten und Möchtegern-Genies hervor, die alles schlechtreden und besser wissen.
Dabei verdrängt gerade dies in unserer Betrachtung zu vieles von dem, womit man einverstanden ist, was gut funktioniert und positiv ist, wofür viele Menschen mit Herzblut, Anstand und unermüdlichem Einsatz hart und erfolgreich gearbeitet haben, was sich erfreulich entwickelt und glücklich gefügt hat.
Die Dosis macht das Gift
An sich weiß jeder, dass die Verwendung von Gewürzen beim Kochen den Geschmack hervorragend verstärken kann, aber nur, wenn man kleine Mengen verwendet. Verwendet man Gewürze in größeren Mengen, so ruiniert es den Geschmack. Von einem verwürzten, verpfefferten, versalzenen, viel zu scharfen Gericht, wird sich jeder abwenden. Dafür kann man weder Lob noch einen Michelin Stern ernten.
Wenn man fundierte Kritik als ein zwar wichtiges und wirksames, aber doch sorgsam zu handhabendes Mittel, eine Art Gewürz oder Heilmittel, betrachtet, dann ist man auf dem richtigen Weg.
Ein köstliches Gericht braucht Würze, aber meist sind es nur wenige Gramm. Alles darüber hinaus wird eine Speise ungenießbar machen. Nicht anders verhält es sich mit Arzneistoffen in der Medizin.
Schon der berühmte Lehrsatz des Begründers der Chemiatrie, dem Schweizer Arzt Theophrastus Bombast von Hohenheim, bekannter als Paracelsus (1493-1541), lautete: „Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“
Kritiker gehen aus gutem Grund nur selten in die Geschichte ein
Leider wurde ständiges Kritisieren und Herumnörgeln zu einer Art Gewohnheitsprägung vieler Menschen. Es fällt vielen leichter in das Stammtischgerede einzustimmen oder sich in der Gruppe im Büro oder in der Teeküche an Rundumschlägen zu beteiligen, das Negative zu finden, zu äußern, sich aufzuregen, Gerüchte zu verbreiten und so die Suppe gehörig zu versalzen, Gift zu verspritzen. Das hat oft schon eine Art Suchtcharakter, denn es fühlt sich erst einmal großartig an, wenn man mit anderen zu den vermeintlich bestinformierten Besserwissern gehört.
Damit aber zieht man sich nur selbst in den mentalen Abgrund von Unzufriedenheit, Pessimismus und Hoffnungslosigkeit und beraubt sich seiner Motivation, Zuversicht und Lebensenergie. Zugleich zieht man unverantwortlicher Weise andere Menschen mit in dieses schwarze Loch, löscht das Licht nicht nur am Ende des Tunnels, sondern auf ganzer Länge.
Ganz im Stillen jedoch mag niemand solche Kritiker, niemand fühlt sich sicher und wohl im Kreise solcher Menschen, die ständig kritisieren. Unbewusst spürt jeder zutiefst im Innersten, es ist Vorsicht geboten, denn eines Tages könnte auch ich ins Schussfeld der Kritiker und Besserwisser geraten.
Die 99:1-Regel
Besser wäre es, übertragen auf unseren Alltag, auf unsere Art und Weise über Menschen, Institutionen, über Entwicklungen und Geschehnisse zu reflektieren und mit Unterstellungen und Vorurteilen umzugehen, man würde wohlmeinend, wohlwollend 99 % konstruktives und nur 1 % kritisches denken und äußern, also eine 99:1-Regel anwenden. Dies gilt auch für Selbstkritik und Selbstmitleid.
Sehr erfolgreiche, hoch respektierte Menschen machen genau das. Sie sehen das Positive, die Chancen und Möglichkeiten, halten sich fern verbalen Attacken und üben nur wenig, dafür allerdings sachliche, fundierte, hilfreiche Kritik.
Selbst in Fällen, womit wir uns berechtigt schwertun, dürfte trotzdem zumindest eine 3:1-Regel noch immer möglich sein. Natürlich gibt es ganz wenige Ausnahmen, wo dies nicht gelingt oder nicht angebracht ist. Aber solche Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel.
Kritik-Diät
Halten wir eine Kritik-Diät. Nehmen wir Abstand vom großen Kritisieren, ganz besonders davon, stets das Schlechtestmögliche zu unterstellen und zu denken. Nehmen wir Abstand davon vorschnell zu urteilen oder vorzuverurteilen, ohne dass man wirklich sämtliche Fakten in der Hand hat, das ganze Bild kennt.
Enthalten wir uns vor allem auch des Redens über jemanden, der abwesend ist, des Herziehens über andere, des Gerüchte Weitertragens. Stimmen wir nicht mit ein in diesen Chor, wenn andere dies tun, sondern wechseln das Thema zu etwas Konstruktivem oder Humorvollem. Wir alle wissen, die Zukunft hält viele Überraschungen und Wendungen bereit, die wir weiterhin meistern werden.
Wenn sich viele Menschen so verhalten würden, dann würden sie nicht nur mehr Zeit für Besseres gewinnen, sondern dann wäre sehr viel Angst, Sorge und Ärger, sehr viel Frust und Aggression sowie Pessimismus aus der Welt geschafft. Dann würde die Dosis für Zuversicht, Begeisterung und einen ansteckenden Optimismus für Erfolg und Lebensfreude stimmen und würden unweigerlich viele andere mit auf diese Reise nehmen.